Die Graefin Charny
sah nicht ohne lebhafte Besorgnis das Aufeinandertreffen zweier Flammen, die man eher für zwei Blitze des Hasses als für zwei Lichtstrahlen der Liebe halten konnte.
Katharina stand auf und verließ festen Schrittes, wie sie gekommen war, das Zimmer.
Acht Stunden später war Katharina in Villers-Cotterêts. Anfangs erkannte man sie nicht; sie war so blaß und hatte sich so verändert, daß sie eine ganz andere zu sein schien.
Die Tante Angelika stand mit einigen Gevatterinnen auf der Straße und klatschte.
»Ei, sieh da!« rief sie auf einmal, mitten in ihrem Wortschwall innehaltend, »Herr Jesus! da steigt ja die Billotte mit ihrem Kinde aus dem Eilwagen! So wahr ich lebe, es ist die Billotte!«
Als die Tante Angelika die Ankunft der »Billotte« ausposaunte, liefen die Kinder der Ankommenden nach.
»Ja wahrhaftig,« sagten sie, »es ist Mademoiselle!«
»Ja, Kinder, ich bin's«, antwortete Katharina sehr freundlich.
»Guten Abend, Mademoiselle Katharina«, sagten die Kinder.
»Guten Abend, ihr lieben Kleinen«, antwortete Katharina. »Meine Mutter ist noch nicht tot, nicht wahr, Kinder?«
»O nein, noch nicht. Herr Raynal sagt, sie könne wohl noch acht oder zehn Tage leben.«
»Ich danke euch, Kinder«, sagte Katharina, schenkte den Kleinen einige Geldstücke und setzte ihren Weg fort.
»Nun, ist sie es wirklich?« fragten die neugierigen Tanten.
»Ja«, antworteten die Kinder. »Sie hat nach ihrer Mutter gefragt ... und sehen Sie nur, was sie uns geschenkt hat.«
Die Kinder zeigten die kleinen Silberstücke, die sie von der »Billotte« bekommen hatten.
»Sie muß ihre Unschuld in Paris teuer verkauft haben,« sagte die Tante Angelika, »wie würde sie sonst den Kindern Silberstücke schenken können!«
Tante Angelika konnte Katharina Billot nicht leiden.
Unterdessen setzte Katharina ihren Weg fort. Hier war die kleine Brücke, wo Isidor Abschied von ihr genommen hatte.
Dort stand der hohle Weidenbaum, in dem Isidor seine Briefe versteckt hatte.
Als sie sich dem Hause näherte, sah sie das kleine Fenster, in welches Isidor so oft eingestiegen war. Unter diesem Fenster hatte Billot auf den jungen Mann geschossen. Vor dem Hoftore endlich erblickte Katharina die wohlbekannte Straße, die nach Boursonne führte. Wie oft war sie diesen Weg gegangen!
Katharina betrat rasch und entschlossen den Meierhof.
Ein Mann erschien.
»Vater Clouis!« sagte Katharina.
»Willkommen, liebe Demoiselle!« sagte der alte Gardist. »Sie sind hier im Hause so nötig wie das liebe Brot ... Kommen Sie.«
»Wie geht's meiner armen Mutter?« fragte Katharina.
»Ach,« war die Antwort, »sehr schlecht ... nur, wenn man Ihren Namen nennt, Demoiselle Katharina, scheint sie aus ihrer Erstarrung zu erwachen.«
»Wir wollen hingehen,« sagte Katharina, »kommen Sie, Vater Clouis.«
Katharina warf einen Blick in die halbdunkle Stube.
Ihre Mutter lag in ihrem altmodischen Himmelbett. Die grünen Vorhänge waren halb zugezogen. Auf dem Tische brannte eine dreiarmige zinnerne Lampe.
Madame Clement, die Krankenwärterin, saß in einem großen Armsessel und schlummerte. Die Kranke schien unverändert, nur ihre Gesichtsfarbe war auffallend blaß wie Elfenbein.
»Mutter! Mutter!« rief Katharina, auf das Bett zueilend.
Die Kranke schlug die Augen auf und nickte ihrer Tochter zu; ihre Lippen stammelten unverständliche Laute; ihre Hand hob sich und tastete umher; dann fielen ihr die Augen wieder zu. Am folgenden Tage kam der Doktor Raynal. Er war hocherfreut, die Tochter seiner Patientin zu finden. Vor allem brachte er eine Angelegenheit zur Sprache, die er mit Billot nicht erörtert haben würde: nämlich die Sakramente.
Katharina war gottesfürchtig, sie ließ den Abbé Fortier holen.
Aber kaum war der Abbé in das Krankenzimmer getreten, kaum hatte er bemerkt, daß die Kranke die Augen nicht aufschlug, so erklärte er, daß er nur denen, die beichten könnten, die Absolution erteile. Alle Bitten blieben fruchtlos; er entfernte sich, ohne der Sterbenden die letzten Tröstungen der Religion gereicht zu haben.
Acht Tage und acht Nächte brachte Katharina abwechselnd an dem Bette ihrer Mutter und an der Wiege ihres Kindes zu.
In der neunten Nacht tat sich die Tür auf, und Pitou erschien. Er kam eben von Paris, das er am Morgen zu Fuß verlassen hatte.
Billot war auf dem Wege der Genesung; seit vier bis fünf Tagen hatte der Arzt für ihn gebürgt, und als Pitou fortgegangen war, sollte er aus dem Hospital in die Wohnung
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