Die Graefin Charny
aber als er sah, daß der König nicht aufstand, nahm er selbst seinen Platz wieder ein. Die Zuschauer applaudierten, der König erblaßte; er zog sein Schnupftuch hervor und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Die Königin wohnte der Sitzung in einer abgesonderten Loge bei. Sie konnte es nicht aushalten; sie stand auf, verließ die Loge, schlug die Tür heftig hinter sich zu und fuhr in die Tuilerien zurück.
Der König kehrte eine halbe Stunde später in die Tuilerien zurück. – Er fragte sogleich nach der Königin. Ein Türsteher wollte vorangehen; aber er entfernte ihn durch einen gebieterischen Wink, öffnete selbst die Türen und trat unerwartet in das Zimmer, wo sich die Königin befand.
Er war so blaß, so erschöpft, daß Marie Antoinette erschrocken aufsprang und ihm entgegenging.
»O Sire!« sagte sie, »was ist denn geschehen?«
»O Madame! warum haben Sie dieser Sitzung beigewohnt? Mußten Sie denn Zeuge meiner Demütigung sein?«
Ein so heftiger Ausbruch der Gefühle war selten bei Ludwig XVI. und deshalb um so ergreifender. Marie Antoinette war außer sich, sie sank ihm zu Füßen.
Nach einer halben Stunde tat sich die Tür wieder auf, und die Königin selbst rief ihre Kammerfrau.
»Campan,« sagte sie, »besorgen Sie dieses Schreiben an Herrn von Malden; es ist an meinen Bruder Leopold. Herr von Malden muß auf der Stelle nach Wien abreisen; dieser Brief muß dort früher ankommen als die Kunde der heutigen Vorgänge ... Wenn er zwei- oder dreihundert Louisd'or braucht, so geben Sie sie ihm; ich gebe sie Ihnen wieder.«
Madame Campan nahm den Brief und entfernte sich. – Zwei Stunden später reiste Malden nach Wien ab.
Das Schlimmste an der ganzen Sache war, daß man sich ein freundliches, heiteres Ansehen geben mußte. – Die Tuilerien waren mit einer ungeheuren Menschenmenge gefüllt. Abends war die ganze Stadt beleuchtet. Der König und die Königin wurden eingeladen, in den Champs Elysées spazierenzufahren. Die Adjutanten und Chefs der Pariser Armee begleiteten den Wagen zu Pferde. Sie wurden mit lautem Jubel empfangen; aber in einer Pause, wo der Ruf: »Es lebe der König! es lebe die Königin!« verstummte und der Wagen anhielt, sagte ein wild aussehender Mann aus dem Volke, der mit verschränkten Armen am Kutschenschlage stand:
»Glaubet ihnen nicht ... Es lebe die Nation!«
Der Wagen fuhr langsam weiter; aber der Mann legte die Hand auf die Wagentür, und so oft das Volk rief: »Es lebe der König! es lebe die Königin!« wiederholte er mit kreischender Stimme:
»Glaubet ihnen nicht ... Es lebe die Nation!«
In den verschiedenen Theatern wurden Vorstellungen vorbereitet: man sah wohl ein, daß es im italienischen Theater nicht gut gehen werde, man fürchtete einen Tumult.
Diese Besorgnis wurde zur Gewißheit, als man das Parterrepublikum musterte: Danton, Camille Desmoulins, Legendre, Santerre hatten die ersten Plätze inne. Als die Königin in ihre Loge trat, versuchten die Galerien zu applaudieren. Das Paterre gebot zischend Ruhe. Die Königin blickte mit Schrecken in den gähnenden Krater hinab; sie sah wie durch ein Flammenmeer hindurch zornglühende Augen auf sich gerichtet.
Sie kannte keinen dieser Männer von Ansehen, einige nicht einmal dem Namen nach.
»Mein Gott! was habe ich ihnen denn getan?« fragte sie sich, und suchte ihre Bestürzung hinter einem Lächeln zu verbergen; »und warum hassen sie mich?«
Plötzlich haftete ihr Blick mit Entsetzen auf einem Manne, der an einer Säule stand. Dieser Mann sah sie starr und forschend an.
Es war der Mann aus dem Schlosse Faverney, derselbe, den sie zu Sèvres und endlich wieder in den Tuilerien gesehen hatte, – der Mann der drohenden Worte, der rätselhaften, grauenvollen Taten!
Das Schauspiel begann; die Königin nahm alle ihre Fassung zusammen; mit einiger Mühe gelang es ihr auch, der Vorstellung einige Aufmerksamkeit zu widmen.
Aber wie sehr sich Marie Antoinette auch bemühte, ihre Gedanken von dem rätselhaften Manne abzuwenden, so wurde sie doch durch eine magnetische Gewalt, die stärker war als ihr Wille, zu dem rätselhaften Manne hingezogen, und ihr Blick ging immer dieselbe Richtung.
Übrigens schien die Luft im Saale wie vor einem Gewitter mit Elektrizität angefüllt zu sein. Der Haß auf beiden Seiten mußte bald losbrechen.
Eine Gelegenheit bot sich in dem Duett, das die schöne Madame Dugazon gerade mit einem Tenoristen zusammen vortrug und das anfing mit den Worten: »Oh, wie liebe ich
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