Die Graefin Charny
Franklin, Laplace, Monge, Lavoisier zu Boden; mit der andern rüttle ich an Bailly, Necker, Lafayette; ich werde alles niederreißen ... ja, wie Samson den Tempel niedergerissen hat, und unter den Trümmern, die mich selbst vielleicht zermalmen, werde ich das Königtum begraben.«
Gilbert schauderte unwillkürlich; dieser Mann sagte in einem elenden Kellerloche etwa dasselbe, was Cagliostro in einem Palast gesagt hatte.
»Nehmen Sie sich in acht!« sagte er; »für das, was Sie vorhaben, wird in Frankreich nicht genug Hanf wachsen, und die Stricke werden nicht mehr zu bezahlen sein.«
»Ich hoffe auch,« erwiderte Marat, »daß man neue und schnellere Mittel erfinden wird. Wissen Sie, wer in zehn Minuten an diese Tür klopfen wird? Ich erwarte Guillotin. Er hat eine wundervolle Maschine erfunden, eine Maschine, die tötet, ohne Schmerz zu verursachen; in diesen Tagen werden wir sie ausprobieren.«
Gilbert schauderte; es war das zweite Mal, daß dieser Mann ihn an Cagliostro erinnerte. Er nahm seinen Sohn und trug ihn auf den Armen nach Hause, wo er von dem Pächter seines Gutes in Haramont, Billot, und von Pitou erwartet wurde. Nach den Erzählungen Pitous war Billot um seine Tochter und um den Stand seiner Äcker in Sorge geraten; er war gekommen, um von Dr. Gilbert die Erlaubnis zur Heimreise zu erwirken, die ihm auch erteilt wurde. Pitou ging mit ihm in die Heimat und nahm Geld mit zur Ausrüstung der dort von ihm begründeten Nationalgarde.
6. Kapitel
Nach jenem furchtbaren Zuge vom 6. Oktober warf die aufgehende Sonne ihr mattes Licht auf eine vor den Tuilerien versammelte Volksmenge, die ihren König sehen wollte.
Den ganzen Tag hindurch empfing Ludwig XVI. Abordnungen. Hin und wieder mußte er sich auf dem Balkon zeigen und wurde mit allgemeinem Jubel empfangen.
Madame Elisabeth zeigte ihrem Bruder die sich herandrängende Volksmenge und sagte zu ihm:
»Es scheint mir doch, solche Menschen müssen nicht schwer zu regieren sein.«
Jedermann erklärte die Revolution für beendet; war doch der König von seinem Versailles, von seinen Höflingen und Ratgebern befreit; der Zauber war gebrochen, der das Königtum so lange festgehalten hatte; Gott sei Dank! Die beiden populärsten Männer Frankreichs, Lafayette und Mirabeau, kamen als Royalisten nach Paris zurück.
Der Herzog von Orleans reiste auf Wunsch Lafayettes ab und kam erst zurück, als er gerufen wurde.
Der König und Elisabeth schauten mit Rührung auf das Volk, während sich in Marie Antoinette Haß und Ärger immer mehr festsetzten. Die Marktfrauen, die sie empfangen mußte, behandelte sie kalt, fast mit Verachtung.
Die Königin war innerlich zerrissen, sie litt unsäglich darunter, daß sie Charny sich entgleiten sah. – –
Gilbert, der mehrere Tage nicht beim König gewesen war, erinnerte sich, daß er Dienst habe. Er fand Ludwig XVI. vor dem Bilde Karls I., das van Dyck gemalt hatte, in Gedanken versunken; er machte eine Bewegung, Ludwig XVI. stutzte und sah sich um.
»Ach! sind Sie es, Doktor?« sagte der König, der so in Gedanken versunken war, daß er Gilbert nicht hatte eintreten hören. Dann führte er Gilbert vor das Meisterwerk und sagte:
»Kennen Sie dieses Porträt, Doktor?«
»Meinen Eure Majestät die Geschichte des Königs, den es darstellt oder die Geschichte des Bildes selbst?«
»Ich meine die Geschichte des Bildes.«
»Nein, Sire; ich weiß nur, daß es 1645 oder 1646 zu London gemalt morden ist, das ist alles, was ich sagen kann; aber ich weiß nicht, wie es nach Frankreich gekommen ist und wie es zugeht, daß es jetzt in dem Zimmer Eurer Majestät ist.«
»Es gehörte der Madame Dubarry, der Geliebten Ludwigs XV. Nachdem wir diese in die Verbannung geschickt hatten, blieb es in einer Dachstube zu Versailles hängen. Wie kommt es nun, daß ich es hier finde? Warum verfolgt es mich?«
»Doktor,« fuhr er fort, »es ist ein Zufall, und kein Verhängnis.«
»Es ist ein Verhängnis, Sire, wenn dieses Bild nichts zu Ihnen sagt, aber es ist der Finger der Vorsehung, wenn es zu Ihnen spricht.«
»Wie können Sie denken, Doktor, daß ein solches Bild zu einem König in meiner Lage nicht spreche?«
»Eure Majestät haben mir erlaubt, die Wahrheit zu sagen; darf ich mich erkühnen, zu fragen?«
Ludwig XVI. schien einen Augenblick unschlüssig.
»Fragen Sie nur, Doktor«, sagte er.
»Was sagt dieses Porträt zu Eurer Majestät?«
»Es sagt mir, daß Karl I. seinen Kopf verloren hat, weil er gegen sein Volk
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