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Die Graefin Charny

Die Graefin Charny

Titel: Die Graefin Charny Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
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erfahren.
    Er stieg leise und vorsichtig durchs Fenster, und stand hinter ihr in dem Augenblicke, wo die magnetische Anziehungskraft, für die sie so empfindlich war, sie zwang, sich umzudrehen.
    Die beiden Feinde trafen also wieder zusammen.
    Das erste Gefühl der Gräfin war eine unüberwindliche Abneigung.
    Gilbert hingegen fühlte für Andrea nicht mehr jene glühende Liebe, die den Jüngling einst zu seiner verbrecherischen Tat getrieben,wohl aber jene zarte, innige Teilnahme, die den Mann bewogen haben würde, ihr selbst unter Lebensgefahr einen Dienst zu erweisen.
    »Was wollen Sie von mir?« sagte Andrea.
    »Was ich will? Ich will, daß Sie mir sagen, wo mein Sohn ist, den Sie in Ihrem Wagen hierhergebracht haben.«
    »Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist, er ist vor mir geflohen, Sie haben ihn ja daran gewöhnt, seine Mutter zu hassen.«»Seine Mutter, Gräfin! ... Sind Sie wirklich seine Mutter?«
    »O mein Gott!« rief Andrea, »er ist Zeuge meiner Verzweiflung gewesen, und fragt mich, ob ich seine Mutter bin!«
    »Sie wissen also nicht, wo er ist?«
    »Ich sage Ihnen ja, daß er entflohen ist, daß er in diesem Zimmer war, daß ich ihn hier wiederzufinden glaubte, und daß ich dieses Fenster offen und das Zimmer leer fand.«
    »O mein Gott!« rief Gilbert. »Wohin kann er sich gewandt haben? Der arme Knabe kennt Paris nicht, und Mitternacht ist vorüber!«
    »Glauben Sie,« sagte Andrea, die diesen Gedanken aufgriff, »daß ihm ein Unglück begegnet ist?«
    »Das will ich eben wissen,« erwiderte Gilbert, »und das sollen Sie mir sagen.«
    Und damit streckte er Andrea die Hand hin.
    Diese murmelte den Namen Sebastians und sank mit einem leisen Klagelaut auf einen Sessel.
    »Schlafen Sie«, sagte Eilbert; »aber im Schlafe sehen Sie mit dem Herzen.«
    »Ich schlafe«, sagte Andrea.
    »Wohin haben Sie Sebastian geführt?«
    »In den Salon hier neben diesem Zimmer.«
    »Warum hat er Sie verlassen?«
    »Weil ein Wagen vorfuhr.«
    »Wer war in dem Wagen?«
    Andrea zögerte.
    »Wer war in dem Wagen?« wiederholte Gilbert mit festerem Ton und stärkerem Willen.
    »Der Graf von Charny.«
    »Wo haben Sie den Knaben versteckt?« »Ich schob ihn in dieses Zimmer.«
    »Was sagte er, als er hier eintrat?«»Ich sei nicht mehr seine Mutter.«
    »Warum hat er das gesagt?«
    »Weil ich zu ihm sagte,« wiederholte Andrea mit großer Selbstüberwindung, »daß Sie ein elender, schändlicher Mensch sind.«
    »Hat der Graf von Charny geahnt, daß der Knabe hier war?«
    »Nein.«
    »Warum ist er denn nicht geblieben?«
    »Weil der Graf nie bei mir bleibt.«
    »Was wollte er denn hier?«
    »O mein Gott! mein Gott! Olivier, lieber Olivier!«
    Gilbert sah sie erstaunt an.
    »Oh, ich Unglückliche!« klagte Andrea. »Er fing an, sich mir zuzuwenden, er liebt mich, er liebt mich! ...«
    Gilbert tat zum ersten Male einen Blick in dieses furchtbare Familiendrama.
    »Und Sie,« fragte er, »lieben Sie ihn?«
    »Seit dem Augenblick, wo ich ihn zum ersten Male sah.«
    »Sie wissen also, was Liebe ist, Andrea?« fragte Gilbert traurig.
    »Ich weiß,« antwortete die junge Gräfin, »daß die Liebe dem Menschen gegeben ist, damit er wisse, wieviel er leiden kann.«
    »Kehren wir wieder zu Sebastian zurück.«
    »Gattin, vergiß deinen Gatten; Mutter, denke nur an dein Kind!«
    »Wo war Sebastian, während Sie mit dem Grafen von Charny sprachen?«
    »Er lauschte ... da, da, an der Tür.«
    »In welchem Augenblick hat er dieses Zimmer verlassen?«
    »In dem Augenblick, als der Graf mir die Hand küßte und ich erschrocken aufschrie.«
    »Sehen Sie ihn?«
    »Ich sehe ihn«, sagte Andrea. »Er sieht sich nach einer Tür um, und da er keine findet, springt er aus dem Fenster und verschwindet.«
    »Folgen Sie ihm in der Dunkelheit.«
    »Er eilt der Rue Plâtrière zu ...; er spricht mit einer Frau, die ihm begegnet.«
    »Wonach fragt er sie?«
    »Er fragt nach der Rue Saint-Honoré.«
    »Ja; dort wohne ich. Er wird mich erwarten ...«
    »Nein,« sagte Andrea unruhig, »nein, er ist nicht da, er wartet nicht.«
    »Wo ist er denn?«
    »Er findet die Rue Saint-Honoré ... ei läuft über den Platz des Palais Royal ... er eilt weiter ... in der Rue des Frondeurs ... Halt, armes Kind! Sebastian! Sebastian! siehst du denn den Wagen nicht, der aus der Rue de la Sourdière kommt? Ich sehe ihn ... die Pferde ... Ach! ...«
    Andrea schrie laut auf. »Gott sei gelobt!« rief sie nach einer Pause. »Das Pferd hat ihn auf die Seite geworfen ... da

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