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Die Graefin Charny

Die Graefin Charny

Titel: Die Graefin Charny Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandre Dumas
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liegt er bewußtlos auf der Straße, aber er ist nicht tot ... er ist nur ohnmächtig ... Hilfe! Hilfe! ... Es ist mein Kind!«
    Andrea sank, selbst fast ohnmächtig, in den Armsessel zurück.
    »Weiter«, sagte Gilbert.
    »Warten Sie!« erwiderte Andrea. »Es ist mein Sohn, es ist mein Sebastian! ... Oh, mein Gott! Die Menge macht Platz,– es ist gewiß der Mann, den man gerufen.«
    »Was ist denn?« fragte Gilbert.
    »Ich will nicht, daß der Mann mein Kind anrühre!« rief Andrea.
    »Was macht der fremde Mann?«
    »Er trägt ihn fort ... er wendet sich links in das Seitengäßchen, geht auf eine angelehnte Tür zu, geht eine Treppe hinunter und legt ihn auf den Tisch. Er zieht ihm den Rock aus, öffnet ein Besteck und nimmt eine Lanzette heraus; er will ihm eine Ader öffnen ... Nein, ich will es nicht sehen, ich will das Blut meines Sohnes nicht sehen!«
    »Sehen Sie die Tür genau an und sagen Sie mir, ob etwas Auffallendes daran ist.«
    »Ja, ein kleines viereckiges Fenster, mit kreuzweise zusammengefügten Eisenstäben.«
    »Gut, mehr brauche ich nicht zu wissen.«
    »Eilen Sie, laufen Sie! ... Sie werden ihn finden, wo ich gesagt habe.«
    »Wollen Sie sogleich erwachen und sich an alles erinnern?«
    »Wecken Sie mich sogleich; ich will alles im Gedächtnis behalten.«
    Gilbert strich mit beiden Daumen über die Augenbrauen der Gräfin, hauchte ihr auf die Stirn und sprach die beiden Worte:
    »Erwachen Sie!«
    Dann eilte er in der vorgezeichneten Richtung davon und fand Sebastian in einer Kellerwohnung, wo er in einem dunklen Winkel auf einem armseligen Ruhebett lag.
    Als sich Vater und Sohn mit einer langen, zärtlichen Umarmung begrüßt hatten, wandte sich Gilbert zu dem Gastfreunde Sebastians.
    »Sieh, Albertine,« sagte dieser, »und danke mit mir dem Zufall, der mir erlaubt hat, einem meiner Brüder diesen Dienst zu erweisen.«
    Während der Chirurg diese Worte mit einigem Pathos sprach, sah sich Gilbert um; er schrak unwillkürlich zurück; es war ihm, als ob er diesen Menschen bereits in einem furchtbaren Traum, wie durch einen blutigen Schleier, gesehen hätte.
    »Mein lieber Herr,« sagte er, »empfangen Sie den aufrichtigsten, herzlichsten Dank eines Vaters, dem Sie den Sohn gerettet haben. Darf ich fragen, mit welchem Menschenfreunde ich die Ehre habe zu sprechen?«
    »Sie kennen mich nicht, Kollege«, sagte der Chirurg mit einer lächerlichen Fratze, die seiner Absicht nach freilich ein wohlwollendes Lächeln sein sollte; »aber ich kenne Sie: Sie sind der Doktor Gilbert, der Freund Washingtons und Lafayettes.«
    »Wenn Sie mich aber kennen, so habe ich um so mehr Ursache, meine Frage zu wiederholen, und um die Ehre Ihrer Bekanntschaft zu bitten.«
    »O! wir haben schon vor langer Zeit Ihre Bekanntschaft gemacht«, erwiderte der Chirurg; »vor zwanzig Jahren, in der Nacht des 30. Mai 1770, wurden Sie verwundet, bewußtlos, dem Tode nahe, zu mir gebracht .... Mein Meister Rousseau brachte Sie, und ich öffnete Ihnen damals eine Ader.«
    »Dann sind Sie Jean Paul Marat!« rief Gilbert, der unwillkürlich einen Schritt zurücktrat.
    »Du siehst, Albertine,« sagte Marat, »mein Name macht Effekt.«
    Er brach in ein unheimliches Gelächter aus.
    »Aber warum muß ich Sie hier in diesem Keller wiederfinden?« fuhr Gilbert fort. »Ich glaubte, Sie wären Leibarzt des Grafen Artois? ...«
    »Ich habe meinen Abschied genommen, ich will den Tyrannen nicht dienen.«
    »Aber warum,« sagte Gilbert, »wohnen Sie denn in diesem dunklen, feuchten Keller?«
    »Warum, Herr Philosoph? Weil ich ein Patriot bin, weil Bailly mich fürchtet, weil Necker mich verabscheut, weil Lafayette mir seine Nationalgarde auf den Hals hetzt, weil er einen Preis auf meinen Kopf gesetzt hat .... Aber ich lache ihn aus, diesen Lafayette, der mit der Königin konspiriert. Die Sache ist wahr, ich weiß es von der Bertin, der Putzmacherin der Königin. Und all dies bringe ich in dem vor kurzem gegründeten Journal »Der Volksfreund« an die Öffentlichkeit. Unter Aufbietung aller Energie schreibe ich den ganzen Volksfreund selbst, oft bis zu sechzehn Seiten; ich schreibe Tag und Nacht; die Polizei Lafayettes zwingt mich, verborgen zu leben, sie treibt mich zur Arbeit; es gefällt mir, die erbärmliche Welt durch das kleine düstere Fenster meines Kellers zu sehen. Von meinem unterirdischen Reiche aus beherrsche ich die Welt der Lebenden; ich bin der oberste Schiedsrichter über Wissenschaft und Politik; mit einer Hand werfe ich Newton,

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