Die Graefin Charny
die Partei der Vollmachtgeber nicht verlassen, um sich der Hofpartei anzuschließen.«
»Eure Majestät kennen Mirabeau nicht, ich wiederhole es Ihnen, Sire. Mirabeau ist vor allem Aristokrat, Edelmann, Royalist; er hat sich vom Volke wählen lassen, weil der Adel ihm mit Hohn und Verachtung begegnete, weil er, wie jeder Mann von Genie, sein Ziel zu erreichen, seine Aufgabe zu lösen trachtete. Er wäre weder vom Adel noch vom Volke gewählt worden, wenn er, wie Ludwig XIV., gestiefelt und gespornt ins Parlament getreten wäre und eine Rede über das göttliche Recht gehalten hätte. Eure Majestät sagen, er werde die Partei des Volkes nicht verlassen, um sich der Hofpartei anzuschließen. Aber warum gibt es denn eine Volks- und eine Hofpartei? Warum bilden diese beiden Parteien nicht eine einzige? Diese Vereinigung wird Mirabeau zustande bringen .... Ja, Sire, nehmen Sie Mirabeau; morgen wird er sich, durch Ihre Verachtung abgeschreckt, vielleicht gegen Sie wenden ... und dann, Sire, – ich sage es Ihnen, und dieses Bild Karls I. wird es wiederholen, – dann wird alles verloren sein! ...«
»Sie sagen, Mirabeau werde sich gegen mich wenden; ist denn das schon geschehen, Herr Gilbert?«
»Ja, dem Anschein nach vielleicht, aber im Grunde ist Mirabeau Ihnen ergeben, Sire. Fragen Sie den Grafen von Lamark, was er nach seiner denkwürdigen Sitzung vom 21. Juni zu ihm gesagt hat, denn Mirabeau allein liest mit wunderbarem Scharfblick in der Zukunft.«
»Nun, was hat er gesagt?«
»Er ringt in Verzweiflung die Hände und ruft: ›So führt man die Könige zum Blutgerüst!‹ Und drei Tage nachher klagt er: ›Diese Leute sehen den Abgrund nicht, der sich vor den Füßen der Monarchie auftut; der König und die Königin werden hineinstürzen und das Volk wird über ihren Leichen jubeln.‹«
Der König war betroffen, er erblaßte und sah das Porträt Karls I. an; einen Augenblick lang schien er bereit, sich zu entschließen, aber er besann sich und sagte:
»Ich will mit der Königin darüber reden; vielleicht entschließt sie sich, mit Herrn von Mirabeau zu sprechen, aber ich spreche nicht mit ihm.«
Der Türsteher trat ein. »Sire,« sagte er, »die Person, die Eure Majestät heute empfangen wollen, ist angekommen und wartet im Vorzimmer.«
»Sire,« fragte Gilbert, »habe ich mich als geschlagen zu betrachten?«
»Ich habe Ihnen gesagt, daß ich mit der Königin darüber reden will.«
»Sire,« sagte Gilbert, »lassen Sie das Porträt Karl Stuarts nie aus Ihrem Zimmer bringen; es ist ein guter Ratgeber.«
Er verneigte sich und verließ das Zimmer gerade in dem Augenblick, als die von dem König erwartete Person in die Tür trat.
Gilbert konnte einen leisen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken; der Edelmann, der bei Seiner Majestät Audienz hatte, war derselbe Marquis von Favras, den er acht Tage zuvor bei Cagliostro gesehen und dessen nahe bevorstehendes tragisches Ende dieser angekündigt hatte.
Thomas Mahi Marquis von Favras, ein Mann von hohem Wuchs, fünfundvierzig Jahre alt, trat vor.
»Sie sind, der Marquis von Favras?« fragte der König. »Sie wünschten mir vorgestellt zu werden?«
»Ich sprach gegen Seine königliche Hoheit den Herrn Grafen von Provence den lebhaften Wunsch aus, Eurer Majestät meine Huldigungen darzubringen.«
»Mein Bruder hat großes Vertrauen zu Ihnen.«
»Ich glaube es, Sire, und ich gestehe, daß es mein größter Wunsch ist, dieses Vertrauen von Eurer Majestät geteilt zu sehen. Eure Majestät wünschen zu wissen? ...«
»Wer Sie sind und was Sie getan haben.«
»Wer ich bin, Sire? Die Nennung meines Namens hat es Ihnen gesagt; ich war Leutnant in der Schweizergarde des Grafen von Provence.«
»Und Sie haben seinen Dienst verlassen?«
»Ja, Sire, im Jahre 1775, um mich nach Wien zu begeben, wo ich meine Frau als einzige Tochter des Fürsten von Anhalt-Schaumburg anerkennen ließ.«
»Ihre Frau ist nie vorgestellt worden, Marquis?«
»Nein, Sire, aber sie hat eben jetzt die Ehre, mit meinem Sohne bei der Königin zu sein.«
»Und dann?« fragte Ludwig XVI.
»Als ich nach Frankreich zurückblickte und das frevelhafte Beginnen der Umsturzpartei sah, begab ich mich nach Paris zurück, um meinen Degen und mein Leben dem Könige zur Verfügung zu stellen.«
»Sie haben in der Tat traurige Dinge gesehen, nicht wahr, Marquis?«
»Sire, ich habe den 5. und 6. Oktober gesehen.«
Der König schien dem Gespräch eine andere Wendung geben zu wollen.
»Sie sagen
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