Die Graefin Charny
verneigt. Dann hatte er ihn in das Gefängnis geführt und ihm einen Platz in einem Winkel angewiesen mit den Worten: »Hier warten Sie, und wenn die Person, für die Sie sich interessieren, hereingeführt wird, geben Sie mir ein Zeichen.«
Der Mann stand seit dem Abend, als das Tribunal seine Sitzungen begonnen hatte, stumm und unbeweglich und wartete.
Es war Gilbert.
Am frühen Morgen war eine Pause eingetreten. Von drei bis sechs Uhr hatten die Richter samt ihren Henkern eine kurze Ruhe genossen. Um sechs Uhr hatten sie gefrühstückt.
In diesen drei Stunden hatte man die Toten fortgeschafft. Der Hof war mit einer drei Zoll dicken Schicht geronnenen Blutes bedeckt, auf der die Füße ausglitten, und da das Waschen zu lange gedauert haben würde, so hatte man den ganzen Hof mit Stroh belegt und über das Stroh die Kleider der Schlachtopfer, insbesondere der Schweizer, gebreitet. Das Blut würde von dem Stroh und den Kleidern aufgesogen.
Gegen halb sieben Uhr morgens begann man wieder neue Gefangene vorzurufen, das Schreien und Lärmen nahm wieder seinen Anfang.
Es verstrichen zwei Stunden. Endlich sagte Maillard mit gleichgültiger Stimme:
»Andrea de Faverney, Gräfin von Charny.« Als Gilbert diesen Namen hörte, fühlte er seine Knie wanken und seine Pulse stocken. Es sollte ja über ein Leben abgesprochen werden, das in seinen Augen wichtiger war als sein eigenes.
»Bürger,« sagte Maillard, »die Person, die jetzt erscheinen wird, ist eine Unglückliche, die vormals der Österreicherin ergeben war, aber von ihr nur Undank geerntet hat. Sie hat alles verloren, ihr Vermögen, ihren Gatten. Ihr werdet sie in Trauerkleidern sehen, und wem verdankt sie diese Trauer? Den Gefangenen im Temple ... Dieser Frau müßt ihr das Leben schenken.«
Die Mitglieder des Tribunals gaben ihre Zustimmung durch Kopfnicken zu erkennen.
Die Tür tat sich auf, und man bemerkte draußen im Gange eine schwarzgekleidete, verschleierte weibliche Gestalt. Sie trat allein und festen Schrittes ein. Man hätte sie für eine Erscheinung aus der Welt der Toten halten können.
Die Beisitzer des Blutgerichts schauderten. – Sie trat bis an den Tisch und schlug ihren Schleier auf.
Die Gräfin war in diesem Augenblick die vollendetste Schönheit, die das Auge eines Mannes jemals erblickt hat; aller Blicke waren auf sie gerichtet. Gilbert lauschte in atemloser Spannung.
Ohne die Anrede Maillards abzuwarten, sagte sie mit sanfter und doch fester Stimme zu ihm:
»Sie sind der Präsident?«
»Ja«, antwortete Maillard erstaunt.
»Ich bin die Gräfin von Charny, Gattin des Grafen von Charny, der an dem verwünschten zehnten August gefallen ist; ich bin eine Aristokratin, eine Freundin der Königin. Ich habe den Tod verdient und suche ihn.«
Die Beisitzer des Blutgerichts vermochten ihr Erstaunen nicht zu unterdrücken, Gilbert erblaßte und zog sich so weit wie möglich in den Winkel zurück, um den Blicken der Gräfin zu entgehen. Maillard sagte: »Diese Frau ist wahnsinnig, der Tod ihres Mannes hat ihren Geist zerrüttet. Über Wahnsinnige hält das Volk kein Gericht.«
Er stand auf und wollte der Gräfin die Hand aufs Haupt legen. Aber Andrea wehrte ab.
»Ich habe meinen vollen Verstand«, sagte sie; »wenn Sie jemanden begnadigen wollen, so lassen Sie andere frei, die um Gnade bitten und Gnade verdienen. Ich verdiene keine Gnade und weise sie zurück.«
Maillard sah sich nach Gilbert um. Der Doktor stand mit gefalteten Händen in seinem dunklen Winkel.
»Diese Frau ist wahnsinnig«, wiederholte er; »man lasse sie frei!«
Er gab einem Beisitzer einen Wink, sie hinauszuführen und in Sicherheit zu bringen.
»Platz da!« rief der Mann den Bewaffneten zu; »sie ist unschuldig.
Man trat auf beiden Seiten zurück, um Andrea durchzulassen; Säbel, Piken und Pistolen senkten sich vor diesem Marmorbilde.
Aber als sie zehn Schritte gegangen war und während ihr Gilbert durch das Gitterfenster nachschaute, stand die Gräfin still.
»Es lebe der König!« rief sie; »es lebe die Königin! ... Ewige Schmach dem zehnten August!«
Gilbert war wie vom Donner gerührt; er eilte mit einem Schrei des Schreckens in den Hof.
Er hatte eine Säbelklinge glänzen gesehen, aber schnell wie der Blitz war die Klinge in der Brust der Gräfin verschwunden.
Er kam zeitig genug, um die Niedersinkende in seine Arme zu nehmen.
Andrea richtete ihren erlöschenden Blick auf ihn und erkannte ihn.
»Ich sagte es Ihnen ja«, stammelte sie.
»Dann
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