Die Graefin Charny
wo ist Ihr Cäsar?«
»Dort spricht er mit einem Manne, den er noch nicht kennt, und der später einen großen Einfluß auf sein Geschick haben wird. Dieser Mann heißt Barras; – behalten Sie den Namen und erinnern Sie sich seiner gelegentlich.«
»Sie scheinen den Spaß mit dem kleinen Unterleutnant für bare Münze geben zu wollen?«
»Gilbert,« sagte Cagliostro, indem er die Hand gegen Robespierre ausstreckte, »so wahr wie dieser das Blutgerüst Karls I. wieder aufrichten wird, ebenso gewiß wird jener«, er deutete auf den Korsen mit den glattgestrichenen Haaren, »den Thron Karls des Großen wieder aufrichten!«
»Und wie heißt der Mann?« fragte Gilbert.
»Jetzt heißt er noch Bonaparte, schlechtweg,« antwortete der Prophet, »aber einst wird er den Namen Napoleon führen.«
Gilbert drückte die Hand auf die Stirn und versank in so tiefes Nachdenken, daß er gar nicht bemerkte, wie die Sitzung eröffnet wurde und ein Redner die Tribüne bestieg.
Eine Stunde war verflossen, ohne daß ihn der Lärm der sehr stürmischen Sitzung seinen tiefen Gedanken entriß. Endlich fühlte er eine kräftige Hand auf seiner Schulter.
Er sah sich um. – Cagliostro war verschwunden, aber an seiner Stelle fand er Mirabeau.
Jeder Gesichtszug Mirabeaus drückte den heftigsten Zorn aus; seine Augen sprühten Flammen.
Gilbert sah ihn fragend an. »Was gibt's?« fragte er.
»Wir sind betrogen, hinters Licht geführt, verraten; der Hof will von mir nichts wissen, er hat Sie zum Narren gehabt ...«
»Ich verstehe Sie nicht, Graf.«
»Sie haben geschlafen?«
»Nein,« sagte Gilbert, »ich habe wachend geträumt.«
»So hören Sie. Als Antwort auf meinen heutigen Antrag, die Minister zur Teilnahme an den Beratungen einzuladen, werden morgen drei Freunde des Königs verlangen, daß kein Mitglied der Nationalversammlung während der Sessionsdauer Minister sein dürfe. Dieser so mühsam, so gewissenhaft gemachte Entwurf stürzt zusammen wie ein Kartenhaus, weil Seine Majestät Ludwig XVI. die Laune anwandelt, darein zu blasen! Aber,« setzte Mirabeau hinzu, indem er wie Ajax die geballte Faust zum Himmel erhob, »so wahr ich Mirabeau heiße, die Höflinge sollen sehen, daß ich noch stärker blasen, daß ich mit meinem Atem nicht nur ein Ministerium über den Haufen werfen, sondern auch einen Thron erschüttern kann!«
»Aber Sie werden doch in die Nationalversammlung gehen?« sagte Gilbert. »Sie werden doch Ihre Ansicht bis aufs äußerste verteidigen?«
»Ja, ich werde in die Nationalversammlung gehen, ich werde meine Ansicht bis aufs äußerste verteidigen. Ich gehöre zu denen, die sich nur unter den Trümmern begraben lassen.«
Am folgenden Tage nahm die Nationalversammlung trotz Mirabeaus beredten, erschütternden Worten mit großer Stimmenmehrheit den Antrag Lanjuinais' an, daß kein Mitglied der Nationalversammlung während der Session Minister sein dürfe.
»Und ich,« rief Mirabeau, als der Beschluß gefaßt war, »ich schlage folgendes vor, das an Ihrem Beschluß nichts ändern wird: »Alle Mitglieder der gegenwärtigen Versammlung können Minister sein, mit Ausnahme des Grafen von Mirabeau.'«
Alle sahen einander betroffen an, und während der tiefen Stille, die im Saale herrschte, verließ Mirabeau die Rednertribüne mit jenem kühnen, entschlossenen Schritt, mit welchem er einst Herrn von Dreux-Brézé entgegentrat, als er zu ihm sagte: »Wir sind hier durch den Willen des Volkes, wir werden nur mit dem Bajonett im Leibe diesen Ort verlassen.«
Er entfernte sich aus dem Saale.
10. Kapitel
Der König hatte Mirabeau nicht zum Minister gemacht; er hatte den Entschluß gefaßt, zu warten, Zeit zu gewinnen, da ihm zwei angeknüpfte Unterhandlungen die Aussicht gaben, Paris heimlich zu verlassen und in einer Festung Schutz zu suchen. Das war sein Lieblingsplan.
Charny hatte die Reise von Paris nach Metz in zwei Tagen gemacht. Er hatte den Marquis von Bouillé in Metz gefunden und ihm den Brief des Königs übergeben.
Der Marquis war im ersten Augenblick unschlüssig; als er aber den Namen Charny las und sich des besonderen Vertrauens erinnerte, womit ihn die Königin beehrte, fühlte er sich als treuer Royalist von dem Wunsche durchdrungen, den König dieser scheinbaren Freiheit, die von vielen als eine wirkliche Gefangenschaft betrachtet wurde, zu entreißen.
Er mochte indes noch keinen entscheidenden Entschluß fassen, weil er die Vollmacht Charnys nicht für genügend hielt, und er
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