Die Graefin Charny
beschloß, seinen Sohn, den Grafen Louis von Bouillé, nach Paris zu schicken, um sich mit dem König über diesen wichtigen Plan zu besprechen.
Der Graf Louis kam gegen den 15. November in Paris an. Der König wurde damals von dem Marquis von Lafayette sehr sorgfältig bewacht, und der Graf Louis war der Vetter Lafayettes. Da dieser von der durch Charny angeknüpften Verbindung zwischen dem König und dem Marquis von Bouillé nichts wissen konnte, so war für den Grafen Louis nichts einfacher, als sich von Lafayette selbst dem König vorstellen zu lassen. Er sann noch über ein Mittel nach, zum König zu gelangen, als ihm Lafayette schrieb, daß seine Ankunft in Paris bekannt sei, und ihn einlud, ihn zu besuchen.
Der Graf begab sich sogleich zum Generalstab. Der General war im Stadthause, wo er eine Mitteilung Baillys zu empfangen hatte. Aber er fand Herrn Romeuf, den Adjutanten des Generals.
Romeuf war sechsundzwanzig, der Graf Louis zweiundzwanzig Jahre alt; sie sprachen nicht lange von Politik. Überdies wollte der Graf Louis durchaus nichts merken lassen, daß er mit einer ernsten Idee beschäftigt sei.
Er erzählte seinem Freunde Romeuf unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit, er habe Metz ohne förmlichen Urlaub verlassen, um in Paris eine Geliebte zu besuchen.
Während der Graf Louis dem Adjutanten diese vertrauliche Mitteilung machte, erschien der General Lafayette in der Tür. Lafayette ging langsam auf den Erzähler zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Aha, jetzt sehe ich, Sie lockerer Zeisig,« sagte er, »warum Sie sich vor Ihrem respektablen Verwandten verstecken!«
Lafayette sah seinen Vetter mit etwas spöttischem Lächeln an. Er wußte, daß sich dieser Zweig der Familie sehr viel um das Wohl des Königs, aber nur wenig um die Freiheit des Volkes kümmerte.
»Mein Vetter, der Marquis von Bouillé,« sagte er mit scharfer Betonung des Titels, auf den er seit dem 5. Oktober verzichtet hatte, »hat seinem Sohn gewiß einen Auftrag an den König gegeben, über dessen Wohl ich wache?«
»Er hat mich beauftragt, ihm die ehrerbietigste Huldigung zu Füßen zu legen,« antwortete der junge Graf, »wenn Herr von Lafayette mich für würdig hält, meinem König vorgestellt zu werden.«
»Sie wünschen Seiner Majestät vorgestellt zu werden? ... Es ist jetzt elf Uhr; um die Mittagsstunde habe ich täglich die Ehre, den König und die Königin zu sehen, und werde Sie sogleich in die Tuilerien führen.«
Dieser Plan stimmte mit den Wünschen des jungen Grafen zu gut überein, als daß er eine Einwendung dagegen hätte machen können; er gab seine Zustimmung und zugleich seinen Dank durch eine Verbeugung zu erkennen.
Eine halbe Stunde nachher präsentierten die Schildwachen am Gittertor das Gewehr vor dem General Lafayette und dem jungen Grafen von Bouillé, ohne zu ahnen, daß sie zugleich der Revolution und Gegenrevolution die militärischen Ehren erwiesen.
Die Türen öffneten sich vor Lafayette, die Lakaien verneigten sich tief; man erkannte leicht den König des Königs, den Bürgermeister der Tuilerien, wie ihn Marat zu nennen pflegte.
Lafayette wurde zuerst zu der Königin geführt; der König war in seiner Schlosserwerkstatt, und man wollte Seine Majestät von der Anwesenheit des Generals in Kenntnis setzen.
Graf Louis wurde von der Königin sehr huldvoll empfangen, wußte diese doch, daß er und sein Vater ihr unbedingt ergeben waren.
Wie begeistert Graf Louis auch durch den huldvollen Empfang war, so verkannte er doch nicht, daß die Königin ihn keineswegs erwartet hatte. Kein geheimnisvoller Wink hatte ihm zu verstehen gegeben, daß sie von seiner Sendung Kenntnis habe. Dies stimmte übrigens mit der Versicherung Charnys, daß der König den Zweck seiner Sendung geheimgehalten, genau überein. Er mußte den König genau beobachten, um aus dessen Worten und Gebärden irgendein ihm allein verständliches Zeichen herauszufinden, daß Ludwig XVI. über die Ursache seiner Reise nach Paris besser unterrichtet sei als Lafayette. Der König hatte Lafayette und den Grafen Louis zu sich in die Schlosserwerkstatt gebeten. An der Tür der Werkstatt fragte der Kammerdiener:
»Wen habe ich zu melden?«
»Melden Sie den Obergeneral der Nationalgarde; ich werde die Ehre haben, Seiner Majestät diesen Herren selbst vorzustellen.«
»Der Herr Oberkommandant der Bürgergarde«, meldete der Kammerdiener.
Der König sah sich um.
»Aha! Sie sind's, Herr von Lafayette!« sagte er.
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