Die Graefin Charny
Vergnügen der Überraschung nehmen, aber ich will Ihnen etwas anderes vorschlagen:
»In einer Stunde wird der Jakobinerklub eröffnet. Es ist eine sehr gewählte Gesellschaft, welche Sie gewiß gern besuchen werden. Auch bekommen Sie so vielleicht Zeit, den Schlag zu parieren, da Sie zwölf Stunden vorher gewarnt werden.«
Zwei Stunden später betraten der Graf und Gilbert das Haus des Jakobinerklubs. Von der Galerie aus warf Gilbert einen langen Blick auf diese glänzende Versammlung. Er erkannte jeden einzelnen und erwog im Geiste die Bedeutung aller dieser verschiedenen Talente. Seine Besorgnis wurde durch die Anwesenheit einer ganzen Anzahl Königstreuer etwas beschwichtigt.
»Sagen Sie aufrichtig,« flüsterte er Cagliostro zu, »wen sehen Sie unter dieser Gesellschaft, der wirklich ein Feind des Königtums ist?«
»Es sind ihrer zwei in der Versammlung.«
»Oh, das ist nicht viel unter vierhundert Menschen!«
»Es ist genug, wenn einer der beiden Männer der Mörder Ludwigs XVI., und der andere sein Nachfolger sein wird.«
Gilbert erschrak.
»Oh! Oh! sagte er, »haben wir denn hier einen zukünftigen Brutus und Cäsar?«
»Allerdings, lieber Doktor.«
»Sie werden mir die beiden großen Männer doch zeigen?« sagte Gilbert mit dem Lächeln des Zweiflers auf den Lippen.
»Bei wem willst du den Anfang machen, ungläubiger Apostel?«
»Lassen Sie zuerst den Brutus sehen.«
»Nun, so sieh,« sagte Cagliostro, »da ist er!«
Er deutete mit der Hand auf einen gegen die Kanzel gelehnten Mann, dessen Kopf in diesem Augenblicke beleuchtet war, während der übrige Körper in Dunkel gehüllt war.
Gilbert schauderte unwillkürlich.
»Kennen Sie ihn nicht?« fragte Cagliostro.
»Nicht wahr, er ist ein unbedeutender Advokat von Arras, namens Maximilian von Robespierre, Mitglied der Nationalversammlung?«
»Jawohl.«
»Aber wer ist denn dieser Robespierre?« fragte Gilbert.
»Wer dieser Robespierre ist? Außer mir weiß es vielleicht niemand in Frankreich ... Die Robespierre sind Irländer; vielleicht gehörten ihre Vorfahren zu den irischen Kolonien, die im sechzehnten Jahrhundert die Seminare und Klöster an unserer Nordküste so reichlich beschickten.«
»Aber was hat er denn bis jetzt geleistet?« fragte Gilbert.
»Erinnern Sie sich des Tages, wo die Vertreter des dritten Standes,die sich durch das königliche Veto zur Untätigkeit verurteilt sahen, von dem heuchlerischen Klerus gebeten wurden, ihre Arbeiten zu beginnen?«
»Ja.«
»Nun, lesen Sie die Rede, die der verachtete Advokat von Arras an jenem Tage hielt, noch einmal aufmerksam durch, und Sie werden sehen, ob in dieser Erbitterung, in dieser Heftigkeit, die ihn fast zum Redner machte, nicht eine ganze Zukunft liegt.«
»Hören Sie wohl, was ich Ihnen sage: dieser Mann, der einst der Schrecken der Nationalversammlung sein wird, ist jetzt die Zielscheibe des Spottes; die aristokratischen Jakobiner sind einfach der Meinung, daß Robespierre zur Unterhaltung der Versammlung da sei, und daß jedermann das Recht habe, Kurzweil mit ihm zu treiben. Ein einziger seiner Kollegen erkennt und versteht ihn: Mirabeau! – ›Er wird es zu etwas bringen‹ , sagte er vorgestern zu mir, ›denn er glaubt an das, was er sagt!‹«
»Aber ich habe die Reden dieses Mannes gelesen,« entgegnete Gilbert, »und ich finde sie mittelmäßig und seicht.«
»Mein Gott, ich sage ja nicht, daß er ein Demosthenes oder Cicero, ein Mirabeau oder Barnave sei! Aber, außer Gott weiß vielleicht nur ich, welcher Haß in seiner schmalen Brust gärt, welche Gewitter sich in seinem engen Gehirn zusammenziehen.«
»Aber warum kommt er denn hierher?«
»Weil er hier mehr Gehör findet, als in der Nationalversammlung. Der Jakobinerklub, lieber Doktor, ist der kleine Minotaur; er saugt an einer Kuh; später wird er ein Volk verschlingen. Robespierre ist das Vorbild der Jakobiner: die Gesellschaft wiederholt sich in ihm, und er ist der Ausdruck der Gesellschaft, nicht mehr und nicht weniger. Er hält gleichen Schritt mit ihr, ohne ihr zu folgen, ohne ihr vorauszueilen. Mich dünkt, ich habe Ihnen versprochen, Sie mit einem kleinen Instrument bekanntzumachen, welches eben jetzt angefertigt wird und den Zweck hat, jede Minute einen Kopf, auch wohl zwei Köpfe abzuschlagen; glauben Sie nur, daß keiner der hier Anwesenden diesem Todeswerkzeug so viel Arbeit geben wird als der Advokat Robespierre.«
»In der Tat, Graf, Sie sind entsetzlich«, sagte Gilbert. »Aber sagen Sie,
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