Die Graefin Charny
Kranke.
»Ach, Jungfer Katharina,« sagte er, »ich wußte wohl, daß Ihr ihn liebtet; aber ich wußte nicht, daß Ihr eine Gehirnentzündung bekommen würdet, wenn er fortginge!«
Katharine, ermutigt durch diese Worte des Mitleids, suchte nun Ihre Gefühle nicht mehr zu verbergen.
»Ach, Pitou,« antwortete sie, »ich bin sehr unglücklich!«
»Jungfer Katharine,« erwiderte Pitou, »es macht mir zwar kein großes Vergnügen, von dem Junker Isidor zu sprechen, aber wenn's Euch angenehm ist, kann ich Euch erzählen, wie es ihm geht; ich weiß, daß er glücklich in Paris angekommen ist.«
»Er ist also in Paris?« fragte Katharine hastig.
»In diesem Augenblick wird er wohl nicht mehr dort sein«, erwiderte Pitou. »Ich weiß nur, daß er abreisen sollte ... ich glaube, nach Spanien oder Italien.«
Bei dem Worte ›abreisen‹ sank Katharina seufzend auf das Kissen zurück und brach in Tränen aus.
»Jungfer Katharine,« sagte Pitou, dem diese Tränen sehr weh taten, »wenn Ihr durchaus wissen wollt, wo er ist, so kann ich mich erkundigen.«
»Nein, Pitou, ich danke dir ... es ist nicht nötig, ich werde morgen früh gewiß einen Brief von ihm bekommen.«
»Einen Brief von ihm! ... Nicht möglich«, sagte Pitou, der verlegen an den Nägeln kaute. »Ich wundere mich nicht, daß er an Euch schreibt ... Aber ich fürchte, daß der Brief Eurem Vater in die Hände fällt.«
»Was, meinem Vater?« fragte Katharina erstaunt. »Ist denn mein Vater nicht in Paris?«
»Er ist in Pisseleux, Jungfer Katharine, und zwar dort in seiner Stube ... Herr Raynal hat ihm verboten, in Eure Kammer zu kommen ... weil Ihr phantasiert, sagte er, und ich glaube, er hat wohlgetan.«
»Warum denn?«
»Weil Herr Billot in diesem Punkte keinen Spaß zu verstehen scheint. Denn als er hier war und seinen Namen aus Eurem Munde hörte, schnitt er ein gar grimmiges Gesicht. Ich hörte ihn sogar zwischen den Zähnen murren: ›Es ist gut; solange sie krank ist, will ich nichts sagen; aber nachher wollen wir sehen!‹«
»Höre, Pitou,« sagte Katharina, indem sie seine Hand so heftig faßte, daß er erschrak, »du hast recht, seine Briefe dürfen meinem Vater nicht in die Hände fallen ... er würde mich umbringen!«
»Was kann man da machen?«
»Du müßtest zu der Mutter Colombe gehen ... zur Briefträgerin.«
»Aha, ich verstehe ... ich soll zu ihr sagen, daß sie Eure Briefe nur an mich abgeben soll.«
»Morgen will ich hingehen ... und dann alle Tage.«
»Morgen ist zu spät, lieber Pitou; du mußt noch heute gehen.«
»Gut, ich will heute gehen ... auf der Stelle, wenn's sein muß.«
»Du bist ein braver Mensch, Pitou,« sagte Katharina, »und ich bin dir von Herzen gut, was du für mich tust, ist besser als alle Mixturen der Welt.«
Als Pitou gegangen war, sank Katharina, erschöpft von dem langen Gespräch, auf das Kissen zurück.
Pitou eilte nach Villers Cotterêts und erhielt von der Frau Colombe einen Brief in elegantem Kuvert, der an Katharina Billot adressiert war. Mit sehr gemischten Gefühlen trat er den Heimweg an.
Trotzdem war Pitou ein so gutmütiger Mensch, daß er, um den verwünschten Brief schneller abgeben zu können, unwillkürlich aus dem Schritt in den Trab und aus dem Trab in den Galopp kam.
Fünfzig Schritte vor dem Meierhof stand er plötzlich still; er bedachte mit Recht, daß es den Vater Billot mißtrauisch machen könnte, wenn er so atemlos ankäme. Er beschloß daher ein paar Minuten zu opfern und schritt mit der gravitätischen Haltung des Vertrauten eines Tragödienhelden auf das Haus zu. Als er an dem Krankenzimmer vorüberging, bemerkte er, daß die Wärterin das Fenster geöffnet hatte.
Pitou steckte zuerst die Nase, dann den ganzen Kopf in das Fenster. Katharina war wach und erwartete ihn; sie bemerkte sogleich, daß er ihr winkte.
»Ein Brief!« stammelte sie beglückt, »ein Brief!«
Ohne den Dank, der ihm ohnehin nicht entgehen konnte, abzuwarten, ging er auf das Hoftor zu, wo er Billot fand, der ihn zum Frühstück einlud.
Gerade als er damit fertig war, ging Katharinas Tür auf, und Frau Clement erschien mit ihrem süßlichen Krankenwärterlächeln in der Küche. Frau Billot ging auf sie zu, und auch der Herr des Hauses eilte in die Küche. Beide erkundigten sich nach Katharinas Befinden.
»Es geht recht gut«, antwortete Frau Clement; »aber ich glaube, daß Jungfer Katharina in diesem Augenblicke wieder etwas phantasiert.«
»Was, sie phantasiert wieder?« fragte
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