Die Graefin der Woelfe
wichtig. Sie wusste nicht, wie lange er bleiben konnte, und er musste doch verstehen, was geschehen war, er musste verzeihen. Erneut sprudelten ihre Worte mit heiserer Stimme hervor. Dabei hielt sie den Mönch noch immer mit den Armen umfasst. Er versuchte, sich von ihr zu lösen, aber sie klammerte sich nur noch fester an ihn. Sie lehnte den Kopf an ihn, ihr schmaler Körper vom Weinen geschüttelt.
»Widerlicher Satan, biedere dich nicht an. Verschwinde, du Buhle der Hölle! Verlasse die Jungfer, weiche zurück!«, donnerte der Mönch. Seine Worte trafen sie wie Peitschenhiebe. Sie riss die Augen auf, auch er. Mit zitternden Fingern versuchte sie, ihm über die Wange zu streicheln. Sie versuchte ein Lächeln und spürte, wie es misslang. Er musste ihr doch glauben. »Bitte«, stotterte sie, »bitte, bist du gekommen, mich zu befreien? Hilf mir.« Wieder versuchte sie zu lächeln, hielt seine Hand und küsste sie.
Wie falsch war doch ihre Hoffnung gewesen, wie groß das Grauen, das mit diesem Tag begann. Amalia spürte noch immer die Angst. Sie saß in ihren Knochen und fraß an ihren Därmen. Eine kalte Angst, die sie gleichzeitig zu verbrennen schien. Zitternd stand sie auf, griff nach der Karaffe mit rotem Wein und schenkte sich ein. Diese Angst hatte sie niemals mehr verlassen. Sie saß morgens an ihrem Bett und ging abends mit ihr schlafen. War sie wirklich ein schlechter Mensch, ein Teufel, der den Menschen, die sie liebte, Leid zufügte? Amalia trank durstig, suchte die Flammen zu löschen. Das Brennen wurde weniger. Ihr Blick ging zum Fenster. Draußen hatte der Lenz die letzten Erinnerungen an den Winter getilgt. Gelb und rot reckten kleine Blumen ihre Köpfe hoch. Die Natur hatte ihre Trauerarbeit beendet und rüstete sich für neue Pracht und Herrlichkeit. Amalias Blick hielt sich an den Farben fest, richtete sich daran auf. Sie wollte, sie musste die finsteren Gedanken vertreiben. Es gab Wichtigeres, sie musste leben, leben für ihr Kind, für Elena. Sie hatte ihren ersten Winter überstanden, hatte viel Glück gehabt und der treueste Freund, den es gab, hatte sein Leben für sie gegeben. Ein Poltern auf dem Gang ließ sie aus diesen tröstlichen Gedanken auffahren. Amalia drehte sich automatisch zu dem Geräusch um. Jetzt öffnete sich ihre Tür und was sie sah, war schlimmer als alles, was sie in ihren Albträumen erlebt hatte. Es war der Alb selbst. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie dem entgegen, was da kam. Ihr schlimmster Albtraum war zurückgekehrt, war erneut zum Leben erwacht. Er war wieder da, trug das Kruzifix vor sich her wie eh und je. Es war noch größer, als sie es in Erinnerung hatte und die Füße des Herrn noch blutiger. Immer näher kam er. Amalia versuchte, zu fliehen. Längst war sie mit dem Rücken an die Wand gestoßen. Sie ließ sich daran hinuntergleiten, hielt die Hände vor die Augen, spürte ihre Tränen, hörte ihren Schrei. Amalia bebte, sie versuchte, dem Alb zu entkommen, dem Kreuz zu entfliehen. Ihr Körper bewegte sich von selbst, gerade so, wie er es damals getan hatte. Er warf sich flach auf den Boden und versuchte, an der fürchterlichen Gestalt vorbeizukriechen.
Sie kannte die Stimme, die sie zum Beten aufforderte, doch sie fürchtete sich immer noch. Wieder einmal entleerte sich ihre Blase angesichts des Grauens. Amalia spürte, wie sich ihr Körper verkrampfte, sie erbrach, was in ihr war, und sank in die Dunkelheit.
*
Erasmus legte das Kruzifix achtlos aus der Hand und kniete sich neben sie. Sanft strich er über ihre feuchte Stirn. »Ich werde deine unsterbliche Seele retten, das schwöre ich dir.« Seine Worte hallten dunkel in der Kammer. Sanft hob er Amalia auf und legte sie auf ihr Bett. Gegen die Schmerzen verabreichte er ihr Mohnsaft.
*
Marijke empfing die Hebamme freundlich. Es waren ihr nicht viele Vertraute geblieben, sodass sie nicht wählerisch sein wollte. »Was führt Sie zu mir, Margeth?«
»Ich bringe wieder mal schlechte Nachrichten, so wie es Jakobus einmal gesagt hatte«, antwortete Margeth zerknirscht.
»Ich fürchte, die guten Nachrichten machen einen Bogen um dieses Haus. Was bringen Sie uns?« Marijke zeigte einladend auf einen Sessel, aber Margeth blieb stehen. »Die Amme ist heute Morgen gegangen. Sie hat einen freien Bauern geheiratet und ist nun auf dem Weg in ein kleines Dorf im Bayrischen.«
»Das ist in der Tat eine schlechte Nachricht.« Marijke blickte aus dem Fenster. Erst nach einiger Zeit fand
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