Die Graefin der Woelfe
fünfzehn Jahre alt und sie hatte den kleinen Hund, dem sie half, geboren zu werden, mit Weihwasser getauft. Das war eine Sünde gewesen und um diese Sünde zu büßen, war sie in die Kammer gesperrt worden. In dieser ersten Nacht hatte sie sich noch ahnungslos niedergesetzt, hatte gegessen und getrunken, im Psalter gelesen und war anschließend friedlich eingeschlafen.
Das Grauen begann am nächsten Morgen. Wie erwartet war Marijke in aller Frühe zu ihr gekommen, doch was dann geschah, veränderte alles. Marijke sprach kein Wort, kleidete sie nur in ein Büßergewand, brachte die Morgengrütze und flocht ihr streng das Haar. Alles Schmeicheln, Betteln, Flehen und Befehlen half nichts. Die Zofe schwieg mit kummervoll verschlossenem Gesicht. Als sie ihr Werk vollendet hatte, ging sie, so schweigend, wie sie gekommen war. Amalia hörte ein Schluchzen. Es klang jämmerlich und sie konnte nicht unterscheiden, ob es aus ihrer eigenen oder Marijkes Kehle gekommen war. Denn sie weinte. Zum ersten Mal seit vielen Jahren saß sie an diesem Ort und weinte. Sie schluchzte und zitterte, raufte sich das Haar, auf dass die Frisur völlig aufgelöst wurde, und weinte darob umso heftiger. Irgendwann kam Marijke wieder, nahm das unberührte Frühstück mit sich und brachte ein Mittagsmahl, das aus einer dünnen Suppe und einem Stück Brot bestand. Sie ordnete wortlos Amalias Haar und ging.
Schließlich forderte die Natur ihren Tribut. Amalia aß, weil sie hungrig war, die nunmehr kalte Suppe und erleichterte sich kurz darauf in den Eimer. Dann las sie bei dem flackernden Licht der schwindenden Kerze. Als ihr das Abendbrot gebracht wurde, war die Kerze bereits erloschen.
In den darauf folgenden Tagen wurde es noch schlimmer. Statt der treuen Zofe kam nun eine verschüchterte italienische Nonne, die sich ununterbrochen bekreuzigte, als müsste sie des Teufels Großmutter frisieren. Amalia erkannte die Furcht in den Augen unter dem Schleier. Eine gnadenlose, gotterbärmliche Furcht, deren einzige Ursache sie selbst war. Was hatte man der braven Nonne erzählt, dass diese vor Entsetzen nahezu gelähmt wirkte, und wie um alles in der Welt hatten sie Marijke dazu gebracht, sich auf solch eine Weise zu benehmen? Sie war allein die Ursache all dieser Angst. Was hatte sie getan? Was war mit ihr geschehen? Warum fürchteten sich die Menschen plötzlich vor ihr?
Amalia stöhnte auf. Alle Gedanken ihrer Kindheit waren wieder in ihrem Kopf, die Erinnerungen überschlugen sich. Sie hatte die heiligen Sakramente entweiht, das war der Vorwurf von Pater Anselm gewesen. Außerdem hatte sie gegen das zweite Gebot verstoßen, so die Worte ihrer Mutter. Hatte sie wirklich Götzendienste geleistet? Hatte sie die Tiere zu fremden Göttern erhoben? Alles in ihr schrie dagegen an. Hatte nicht der heilige Franz von Assisi selbst zu den Tieren gepredigt? Sie hatte sich nur hingekniet, um besser an die Welpen heranzukommen. Doch was, wenn Gott die Sache anders sah? Was, wenn der Herr die Dinge beurteilte wie Walpurga und Pater Anselm?
Dann war er in ihre Kammer getreten. Er trug sein Kruzifix vor sich her und rezitierte mit feierlicher Stimme. »Ich beschwöre dich, unreiner Geist, jeden Einfluss des bösen Feindes, jedes Gespenst und jede teuflische Heerschar, im Namen unseres Herrn Jesus Christus: Verschwinde und fahre aus von diesem Geschöpf Gottes.«
Amalia war bis in ihre Seele erschrocken, die Erscheinung war vollkommen unerwartet und das riesige Kruzifix ängstigte sie. Zitternd hatte sie sich an ihren Stuhl geklammert. Er war näher gekommen, trug das Kruzifix vor sich her wie eine Waffe. Der Gekreuzigte starrte auf sie herab, mit gebrochenen Gliedern und schmerzverzerrtem Gesicht, sein Kopf war zur Seite geneigt. Der Mann hinter dem Kruzifix war jung, seine Kutte zerrissen, die Finger schmutzig und an den Beinen erkannte sie das angetrocknete Blut zahlreicher Abschürfungen. Mit einem Wink befahl er ihr, das Kreuz zu küssen. Amalia gehorchte, sank nieder und küsste die Füße des Herrn. »Erhebe dich, meine Tochter«, wisperte der Mönch mit sanfter Stimme und hob sie auf die Beine. Es waren die ersten Worte seit Tagen, oder waren es Wochen? Dankbar fiel sie vor dem Gottesmann auf die Knie, umfasste seine Schenkel mit den Händen, weinte und stammelte. »Oh Herr, ich schwöre Ihnen, ich wusste nicht, ich wollte nicht … Ich hatte keine Ahnung.« Die Worte wollten schneller aus ihrem Mund, als ihre Zunge sie formen konnte, allein, es war
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