Die Graefin der Woelfe
sie weitere Worte. »Sie müssen mir ein wenig helfen. Ist die Komtess in der Zwischenzeit nicht alt genug, auch andere Nahrung zu sich zu nehmen?«
»Ja, das ist sie. Lucia kümmert sich gerade darum. Ich fürchte nur, dass sie die Ziegenmilch nicht verträgt. Es ist ohnehin schwer, denn sie hat nun weder eine Kinderfrau noch eine Amme. Lucia tut, was sie kann, aber wenn sie bei Elena ist, fehlt sie in der Küche.«
»Die Gräfin ist sehr schwach.«
»Ich weiß. Es wird eine schwere Zeit werden für das Kind und seine Mutter.«
»Es ist schon eine schwere Zeit. Für alle. Haben Sie Dank für Ihre offenen Worte.« Marijke setzte sich schwer auf ihren Sessel, sie hätte gern einige tröstliche Worte gewechselt, den klugen Rat von Krysta gehört, mit Jakobus geklärt, was zu tun sei. Doch niemand war mehr geblieben und sie konnte sich nicht durchringen, dieser einfachen Frau ihr Herz zu öffnen. Sie verabschiedete sie mit einer matten Geste.
*
Margeth wollte auf dem kürzesten Weg das Schloss verlassen, als ihr Blick auf die gegenüberliegende Tür fiel. Hier befand sich der Wohntrakt der Gräfin. Ohne ihr Zutun bewegten sich ihre Füße in diese Richtung. Niemand konnte sie hindern. Margeth spürte ein seltsames Herzklopfen. Leise öffnete sie die Tür. Sie durchquerte das Empfangszimmer, betrachtete den zugehängten Spiegel und schritt zum Bett, wo die Gräfin in unruhige Träume versunken war. Behutsam kniete sie sich neben die Frau, die sie so viele Jahre durch unglückliche Stunden begleitet hatte. Eine tiefe Zärtlichkeit erfüllte sie, die sie nur in der Nähe dieser Frau verspürte und die ihr noch immer unheimlich war. Ihr Herz schien einen Augenblick auszusetzen. Sanft strichen ihre Finger über die Linie von Amalias Mund. Ein schier unwiderstehlicher Wunsch, diese Lippen zu küssen, erfüllte sie. Behutsam beugte sie sich über das Bett, schloss die Augen, atmete den zarten Rosenduft ein. Ihre Lippen formten sich von selbst. Sanft, unendlich sanft näherte sie sich dem geliebten Antlitz und hauchte der Gräfin einen keuschen Kuss auf die Stirn.
Ein scharfes Räuspern ließ sie auffahren.
»Das also ist es!« Marijke stand hinter ihr, die Augen fest auf Amalias Stirn gerichtet, als könnte ihr Blick die Berührung der Lippen abwischen. Mit einem Ruck richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Margeth. »So vergiltst du ihre Freundlichkeit.« Die Stimme der Zofe wurde leiser, drohender. »Das also war die ganze Zeit über dein Begehr. Verschwinde, du Hexe, lass dich hier nie wieder blicken, Elende!«
Margeth stand auf, strich über ihren Rock und schlich mit gesenktem Blick zur Tür.
»Sappho«, zischte Marijke hinter ihr her.
Margeth zuckte zusammen. Sie kannte das Wort. Niemals hatte sie daran gedacht und dennoch hatte die Zofe die Wahrheit gesagt. Es war ungeheuerlich. Margeth erschrak sich vor sich selbst. Sie durfte Amalia niemals mehr wiedersehen. Es gab keine andere Möglichkeit, sie hatte alles zerstört. Ein letztes Mal drehte sie sich zu ihr um und blickte in das Gesicht der Frau, die einen Teil ihres Lebens bestimmt hatte. Tränen traten in ihre Augen, Tränen der Trauer, der Furcht und der Liebe. Einsam und dennoch auf eine seltsame Weise getröstet verließ sie das Schloss. Sie hatte die Liebe gesehen und sie würde sie immer in ihrem Herzen halten.
*
Marijke blieb erschrocken und verärgert zurück. Jetzt, wo sie es mit eigenen Augen gesehen hatte, war ihr, als hätte sie es immer schon gewusst. Das also war die geheime Verbindung zwischen der Hebamme und ihrer Prinzessin. Nicht, dass sie jemals geglaubt hätte, dass das, was die Hebamme mit jeder ihrer Bewegungen als Wunsch ausdrückte, jemals geschehen sei. Doch sie musste die Gräfin schützen. Niemals mehr durfte diese Frau sie berühren. Gleichzeitig fühlte sie sich verloren, als sie nun allein vor Amalias Bett stand. Mit Margeth war die letzte Vertraute gegangen. Wer konnte jetzt noch helfen? Marijke setzte sich auf den Sessel neben Amalias Bett und legte den Kopf in die Hände. Sie musste Entscheidungen treffen, richtige, weitreichende Entscheidungen und der einzige Vertraute, der ihnen geblieben war, war Doktor von Spießen, auch wenn sie ihn im Grunde ihres Herzens nicht mochte. Das spielte jetzt keine Rolle.
Sie erhob sich und ging in seine Kammer, wo sie ihm zögerlich vom Weggang der Amme berichtete. Erasmus war ein ausgezeichneter Zuhörer. Er unterbrach sie kein einziges Mal, und als sie geendet hatte,
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