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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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gerade einen kleinen Schluck Wein schmekken. Ich bin überzeugt, daß es Miß Dolly nett fände, wenn du dabei sein wolltest."
      Catherine wandte ein, daß kein Platz mehr sei – noch ein Kilo mehr, und die alten Planken würden durchkrachen. Dennoch drängten wir uns dicht zusammen, um für Riley Raum zu schafen, der, gleich nachdem er sich zwischen uns gequetscht hatte, von Catherine an seinem Haarschopf gezaust wurde. „Das ist für heut, für das Gewehr, was du angelegt hast auf uns; und das hier", schalt sie ihn, noch einmal zerrend, in so deutlichem Ton, daß man sie genau verstehen konnte, „zahlt dir heim, daß du den Sherif auf uns gehetzt hast."
    Mir schien Catherine frech, aber Riley grunzte gutmütig und meinte, sie könne besseren Anlaß fnden, jemand an den Haaren zu zausen, noch ehe die Nacht vergangen sei. Denn die Gemüter in der Stadt seien erregt, berichtete er, Menschengewimmel wie an Samstagabenden; besonders der Reverend und Mrs. Buster brüteten Unheil; Mrs. Buster säße an ihrer Haustür und zeige allen Besuchern die Beule auf ihrem Kopf. Sherif Candle, fuhr er fort, habe Verena davon überzeugt, daß ein Hafbefehl gegen uns erlassen werden müsse, dadurch begründet, daß wir Dinge, die ihr Eigentum seien, gestohlen hätten.
      „Und dann, Richter", sagte Riley mit ernster und bestürzter Miene, „haben sie sogar die Absicht, Sie zu verhafen. Als Friedensbrecher und wegen Behinderung des amtlichen Rechtsvollzuges, so habe ich's verstanden. Kann sein, ich sollte Ihnen das nicht sagen, aber ich lief einem von Ihren Jungens in die Arme, vor der Bank, es war Todd. Ich fragte ihn, was er dagegen tun wolle, ich meine gegen Ihre Verhafung; er sagte: Nichts!, sagte, sie hätten schon immer so was erwartet, und Sie hätten sich's selbst eingebrockt."
    Der Richter bückte sich und pustete die Kerze aus; er tat es, weil wir den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht wahrnehmen sollten. In der Finsternis weinte jemand von uns, und einen Augenblick später wußten wir, daß es Dolly war, und die Laute ihres Schluchzens waren wortlose Ausbrüche der Liebe, die im Kreis von einem zum anderen übersprang und uns aneinanderband. Sanf begann der Richter: „Wenn sie kommen, müssen wir gerüstet sein. Ihr alle, hört mir jetzt zu …"

III

    W ir müssen unsere Lage klar erkennen, um uns verteidigen zu können. Darum: was hat uns zusammengebracht? Die Not! Miß Dolly und ihre Freunde, sie sind in Not. Und du, Riley? Wir beide sind in Not. Wir gehören in diesen Baum, oder wir wären nicht hier."
       Dolly beruhigte sich durch den zuversichtlichen Ton in der Stimme des Richters. Er fuhr fort: „Heute, als ich mit der Gesellschaf des Sherifs aufrach, war ich als Mann davon überzeugt, daß mein Leben einsam dahingehen würde und ohne eine Spur zu hinterlassen. Jetzt glaube ich nicht mehr, daß ich so unglücklich sein werde. Miß Dolly, wie lange ist es her? Fünfzig, sechzig Jahre? Solange mag es her sein, daß ich mich Ihrer erinnere, an ein steifes und schamhaf errötendes Kind, das auf seines Vaters Lastwagen zur Stadt fuhr und niemals von dem Wagen herunterkletterte, weil es nicht wollte, daß wir Stadtkinder sähen, daß es keine Schuhe hatte."
       „Sie hatten Schuhe, Dolly und ‚Jene'", murmelte Catherine. „Ich war es, die keine Schuhe hatte."
       „Alle die Jahre, in denen ich Sie gesehen, aber nicht erkannt habe, wie ich es heute tue, als ein Geistwesen, als eine Heidin …"
       „Eine Heidin?" fragte Dolly erschreckt, aber aufmerksam.
       „Wenigstens als ein Geistwesen, das man nicht durch die Augen allein wahrnehmen kann. Geister sind Vertraute des Lebens, sie leugnen nicht seine Schwierigkeiten – und sind dadurch ständig in Not. Ich, ich hätte niemals Richter sein dürfen; ich mußte dadurch zu of auf der falschen Seite stehen, denn das Gesetz erkennt die Schwierigkeiten nicht an. Erinnert ihr euch an den alten Carper, den Fischer, der ein Hausboot auf dem Fluß hatte? Er wurde aus der Stadt gejagt – er wollte das hübsche, kleine farbige Mädchen heiraten, jetzt arbeitet sie für Mrs. Postum, glaube ich; und ihr wißt alle, daß sie ihn liebte; ich sah sie immer, wenn ich fschen ging, sie waren sehr glücklich zusammen. Für ihn war sie das, was nie jemand für mich gewesen ist – der einzige Mensch auf der Welt, vor dem man nichts zu verbergen braucht. Und dennoch, wenn es ihm gelungen wäre, sie zu heiraten, wäre es die Pficht des Sheriffs gewesen, sie zu

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