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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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nicht liebte, würde es sie bald umbringen. Also hielt ich den Wagen auf den Eisenbahngeleisen an. ‚Schön', sagte ich, ‚laß uns ruhig hier sitzenbleiben, der Schnellzug ist in ungefähr zwanzig Minuten fällig.' Wir sahen uns ununterbrochen an, und ich dachte: Ist es nicht gemein von mir, daß ich dich ansehe und nichts fühle außer …" „Außer Eitelkeit?" sagte der Richter.
      Riley verneinte es nicht. „Und wenn meine Schwestern alt genug wären, um für sich selbst zu sorgen, wäre es mir recht gewesen zu warten, bis der Schnellzug uns zermalmt hätte."
    Es drehte mir den Magen um, ihn so reden zu hören; ich sehnte mich, ihm zu sagen, daß er alles war, was ich mir zu sein wünschte.
      „Sie sagten vorher etwas über den einzigen Menschen in der Welt. Warum konnte sie mir das nicht sein? Es ist das, was ich brauche; allein tauge ich nichts. Kann sein, wenn ich in dieser Art für jemanden fühlen könnte; dann würde ich Pläne machen und sie ausführen. Würde den Streifen Land hinter Parsons Anwesen kaufen und Häuser darauf bauen – ich könnte das tun, wenn ich ruhiger wäre."
    Ein aufommender Wind rauschte durch das Laub, zerriß die Nachtwolken; Sterne erschienen und verschütteten ihr Licht. Unsere Kerze, als sei sie durch die Klarheit des ofenen, sterndurchstickten Himmels eingeschüchtert, fackerte, und über uns konnten wir einen späten, fernen, winterlichen Mond sehen. Er war wie eine Scheibe von Schnee, nahe und ferne Geschöpfe riefen ihn an, hingekauerte mondäugige Frösche, eine krallenstimmige Wildkatze. Catherine wühlte die rosa Flickendecke heraus und bestand darauf, daß Dolly sich einhüllte. Dann schloß sie mich in die Arme und zog meinen Kopf zu sich, bis ich ihn an ihrem Busen ruhen ließ. „Frierst du?" fragte sie, und ich kuschelte mich näher heran; sie war so gut und warm wie die alte Küche.
       „Sohn, ich möchte dir sagen, daß du es am falschen Ende anpackst", sagte der Richter und schlug seinen Mantelkragen hoch. „Wie kannst du dich um ein einziges Mädchen sorgen? Hast du dich jemals um ein einzelnes Blatt gesorgt?"
       Riley, der der Wildkatze mit der begehrlichen Miene eines Jägers lauschte, haschte nach einem der Blätter, die um uns herabtaumelten wie Mitternachtsschmetterlinge; lebendig und fatternd, als wollte es ihm entwischen und weiterfiegen, hielt er eins in seinen Fingern gefangen. Auch der Richter fng sich ein Blatt; und in seiner Hand schien es bedeutungsvoller zu sein als in der von Riley. Er preßte es sanf gegen seine Wange und sagte zurückhaltend: „Wir sprechen von Liebe. Ein Blatt, eine Handvoll Samen – damit beginne, und lerne ein wenig, was es heißt, zu lieben. Erst einmal ein Blatt, ein Regenschauer, und dann jemanden, der das empfängt, was das Blatt dich gelehrt hat, was der Regenschauer reifen ließ. Kein einfacher Vorgang, versteh mich recht; es kann die Zeit eines ganzen Lebens hingehen, es hat die meine gebraucht, und dennoch, ich kann es noch immer nicht meistern. Ich weiß nur, wie wahr das ist: daß Liebe eine Kette von Liebe ist wie Natur eine Kette von Leben."
       „Dann", sagte Dolly und holte tief Atem, „dann habe ich mein ganzes Leben lang geliebt." Sie sank in ihre Decke zurück. „Nun ja, nein", und ihre Stimme wurde schwächer. „So nicht, meine ich. Ich habe niemals einen", während sie nach dem Wort suchte, scherzte der Wind mit ihrem Schleier, „einen Gentleman geliebt. Ihr könnt sagen, daß ich dazu niemals Gelegenheit hatte. Ausgenommen Papa", sie hielt inne, als ob sie schon zuviel gesagt hätte. Ein Flor von Sternenlicht umhüllte sie so dicht wie ihre Decke; irgend etwas, die deklamierenden Frösche, die Kette der Stimmen, die aus dem Grasfeld zu uns sich spannte, verlockten und drängten sie. „Aber sonst habe ich alles andere geliebt. Wie die Farbe rosa, als Kind hatte ich einen Buntstif, und er war rosa; ich zeichnete rosa Katzen, rosa Bäume – vierunddreißig Jahre lang habe ich in einem rosa Zimmer gelebt. Und in einer bestimmten Schachtel, sie ist jetzt irgendwo auf dem Dachboden – ich muß Verena bitten, sie mir zu geben – es wäre schön, meine ersten Lieben wiederzusehen. Was ist darin? Eine getrocknete Honigwabe, ein leeres Wespennest, noch andere Dinge, oh, und ein orangefarbenes Büchschen mit Gewürznelken, und ein Eichelhäherei. Wenn ich liebte, dann sammelte sich die Liebe so in mir an, daß ich hätte fiegen können wie ein Vogel über einem Sonnenblumenfeld. Aber

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