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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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wie sie den Friedhof neuordnen wollte und eine Art von Mausoleum errichtete für sich selbst und für alle Talbos. Eine der hiesigen Damen kam zu mir und fragte: ‚Richter, glauben Sie nicht, daß Verena Talbo die krankhafeste Person in der Stadt ist, wenn sie solch ein pompöses Grab für sich plant?' Und ich erwiderte: ‚Nein, das einzig krankhafe daran ist, daß sie dafür Geld ausgeben will, denn sie glaubt nicht einen Augenblick daran, daß sie jemals sterben wird.'"
      „Ich mag es nicht, wenn man etwas gegen meine Schwester sagt", bemerkte Dolly kurz. „Sie hat hart gearbeitet und verdient es, alles so zu haben, wie sie es will. Es ist unsere Schuld, wir haben ihr irgend etwas nicht recht gemacht, es war kein Platz für uns im Hause."
      Catherines Wattepolster fuhren in ihrem Munde herum wie Kautabak. „Bist du mein Dollyherz? Oder irgendeine Scheinheilige? Er ist ein Freund, und du hast ihm die Wahrheit zu sagen, wie ‚Jene' und der kleine Jude uns unsere Medizin stehlen wollten …"
      Der Richter bat um eine Erklärung, aber Dolly erklärte, das sei barer Unsinn, nicht der Rede wert, und fragte, um ihn abzulenken, ob er wisse, wie man Eichhörnchen abhäutete. Er nickte wie im Traum und sah von uns fort, über unsere Köpfe hinweg, und seine Eichelaugen prüfen den wolkenzerfaserten Himmel und die winddurchspielten Blätter. „Mag sein, daß es für uns alle keinen Ort gibt. Obwohl wir wissen, daß es einen geben muß, irgendwo; und wenn wir ihn fänden, und wenn wir dort auch nur einen Augenblick sein dürfen, würden wir uns selig preisen. Dies hier könnte euer Platz sein", sagte er und erschauerte, als hätten am Himmel entbreitete Schwingen einen kalten Schatten auf uns geworfen, „und auch mein Platz."
       Berückend wie der feine Faden der Zeit, an dem die goldene Uhr spann, bog sich der Nachmittag in die Dämmerung. Dunst, der über dem Fluß aufstieg, Herbstnebel, schleife sich mondsilbrig durch die kupfernen und blauen Bäume, und die bleiche Sonne war von einem Hof umringt – Memento des Winters. Dennoch blieb der Richter bei uns: „Zwei Frauen und ein Junge? Der Nacht preisgegeben? Und Junius Candle und diese Blödiane, die weiß Gott was vorhaben? Ich halte zu euch!" Sicherlich hatte unter uns Vieren der Richter im Baume endlich seinen rechten Platz gefunden. Es war eine Freude, ihn zu beobachten, wie er, mit der schnuppernden Nase eines Hasen, sich wieder als Mann fühlte, mehr als das, als Beschützer. Er enthäutete die Eichhörnchen mit einem Klappmesser, während ich in der Dämmerung Reisig sammelte und unter dem Baum ein Feuer für die Bratpfanne richtete. Dolly öfnete die Flasche Brombeerwein; sie rechtfertigte das mit der aufkommenden Kühle. Die Eichhörnchen gelangen recht gut, sie waren sehr zart, und der Richter erklärte voll Stolz, daß wir einmal seine gebratenen Katzenfsche versuchen müßten. Schweigend schlürfen wir den Wein; von dem verlöschenden Feuer stieg der Geruch von Rauch und Blättern auf und erweckte die Erinnerung an vergangene Herbsttage, und wir seufzten und lauschten dem Singen des Grasfeldes, das wie eine Meeresbrandung klang. Die Kerze fackerte in einem Glas, und zigeunernde Nachtmotten fügelten um die Flamme und taumelten in ihrem gelben Schein durch die schwarzen Zweige.
       Plötzlich überkam uns, ohne daß wir einen Schritt hörten, das undeutliche Vorgefühl einer unberufenen Einmischung; es hätte nicht mehr zu sein brauchen als der aufgehende Mond. Aber es gab weder Mond noch Sterne. Die Nacht war schwarz wie der Brombeerwein. „Ich glaube, da ist jemand – dort unten ist jemand", sagte Dolly und drückte damit aus, was wir alle empfanden.
       Der Richter hob die Kerze; Nachtkäfer eilten aus ihrem sprühenden Schein, und eine Schnee-Eule foh durch die Bäume. „Wer da?" rief er in dem herausfordernden Ton eines Soldaten. „Gib Antwort, wer ist dort?"
      „Ich, Riley Henderson." Er war es wirklich. Er löste sich aus dem Schatten, und sein emporgewendetes, grinsendes Gesicht wirkte im Kerzenschein verzogen und verzerrt. „Dachte mir, ich will mal nachschauen, wie es euch geht. Hofe nur, ihr seid nicht böse auf mich, ich hätte nicht erzählt, wo ihr seid, wenn ich gewußt hätte, was los ist."
      „Niemand macht dir einen Vorwurf, Sohn", antwortete der Richter, und ich erinnerte mich daran, daß er Rileys Streitsache gegen seinen Onkel Horace Holton ausgefochten hatte. Sie verstanden sich gut. „Wir lassen uns

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