Die Grasharfe
aus einem Güterzug herausgeholt hatten; Big Eddie gab ihm fünfundzwanzig Cents und sagte, er solle seine Hosen herunterlassen. Man konnte es kaum glauben, wie groß das Ding war, und einer von den Männern sagte: „Junge, wie kommt es, daß man dich einsperren konnte, wenn du so eine Brechstange hast?" Noch Wochen später konnte man die Mädchen erkennen, die von dem Spaß gehört hatten; jedesmal, wenn sie am Gefängnis vorbeikamen, kicherten sie.
Auf einer Seitenwand des Gefängnisses ist ein ungewöhnliches Plakat zu sehen. Ich fragte Dolly danach, und sie meinte sich zu erinnern, daß es in ihrer Jugend eine Anpreisung von Zuckerwerk gewesen sei. Wenn dem so war – die Schrif war inzwischen verschwunden; geblieben war nur eine kreidige Tapete, zwei trompetende Engel, rosa wie Flamingos, die sich um ein riesiges Füllhorn schwangen, das mit Früchten vollgestopft war wie ein Weihnachtsstrumpf. Als Schmuck auf der Ziegelmauer wirkte alles wie ein verblaßtes Fresko oder wie eine undeutliche Tätowierung, und der Sonnenschein schwankte über die gefangenen Engel, als ob sie die Geister von Dieben wären. Ich wußte, was ich wagte, wenn ich hier so vor aller Augen umherspazierte; aber ich ging am Gefängnis vorüber, erst einmal hin, dann zurück, ich pff, und später füsterte ich: „Catherine!" in der Hofnung, daß sie ans Fenster kommen würde. Ich erkannte, welches ihr Fenster war, denn zwischen den Eisengittern sah ich auf dem Fensterbrett ihr Goldfschglas blinken, das einzige, was sie sich, wie wir später erfuhren, von Hause erbeten hatte. Die orangefarbenen Fische fimmerten, wenn sie durch die Korallenburg fächerten, und ich dachte an den Morgen, an dem ich Dolly geholfen hatte, die Burg und die Perlkiesel herauszusuchen. Das war der Anfang gewesen; ich erschauerte plötzlich vor der gedankenvollen Frage, wie das Ende sein würde. Catherine, die wie ein kalter Schatten nach unten spähte – ich betete, daß sie nicht ans Fenster kommen möchte. Sie hätte auch niemanden gesehen, denn ich kehrte um und rannte fort.
Riley ließ mich nicht weniger als zwei Stunden in dem Wagen warten. Als er erschien, war er so in Wut, daß ich nicht wagte, die meine zu zeigen. Er war anscheinend gleich nach Hause gegangen und hatte Anne und Elizabeth, seine Schwestern, und Maude Riordan noch liederlich im Bett gefunden; nicht nur das, sondern auch Coca Cola Flaschen und, auf dem Fußboden verstreut, Zigarettenstummel. Maude nahm die Schuld auf sich; sie gestand, daß sie ein paar Jungens eingeladen habe zum Radiohören und zum Tanzen; aber seine Schwestern wurden bestraf. Er hatte sie aus den Betten gerissen und sie verhauen. Ich fragte, was er damit meinte, mit dem Verhauen. Übers Knie legen, antwortete er, und sie mit einem Tennisschuh verprügeln. Ich konnte mir das kaum vorstellen; es stand im Widerspruch zu meinem Gefühl von Elizabeths Würde. „Du bist zu hart zu den Mädchen", sagte ich und fügte rachsüchtig hinzu: „Maude, die ist an allem schuld." Er nahm mich ernst und stimmte zu, er habe vorgehabt, sie auch durchzuhauen, allein schon der Ausdrücke wegen, die er sich von niemand gefallen ließe; aber ehe er sie zu fassen bekam, war sie ihm durch die Hintertür entwischt. Ich dachte bei mir, vielleicht wird Maude dich jetzt nicht mehr so verlokkend fnden.
Rileys rauhes Haar war mit Brillantine geglättet, und er roch nach Fliederwasser und Talkumpuder. Er brauchte mir nicht zu sagen, daß er beim Friseur gewesen war, und auch nicht, warum.
Damals – er hat sich inzwischen zur Ruhe gesetzt – wurde der Friseurladen von einem sonderbaren Burschen geführt, von Amos Legrand. Leute wie der Sherif, in diesem Fall auch Riley Henderson, ja eigentlich jeder Mensch nannten ihn: dieses alte Weib! Aber sie meinten damit nichts Böses; die meisten amüsierten sich über ihn und wünschten ihm nur Gutes. Ein kleiner Afenmensch, der auf eine Kiste steigen mußte, um dein Haar zu schneiden, war er, und so aufgeregt und geschwätzig wie ein Paar Kastagnetten. Seine Stammkunden nannte er Liebling, Männer wie Frauen, er machte da keine Unterschiede. „Liebling", fötete er dann etwa, „es ist an der Zeit, daß dein Haar geschnitten wird; ich war schon drauf und dran, dir ein Päckchen Haarnadeln zu schenken." Amos hatte eine ungeheure Gabe; er konnte über alle Ereignisse schwatzen, die sowohl einen Geschäfsmann als auch ein zehnjähriges Mädchen ernstlich interessierten, einfach über alles,
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