Die Grasharfe
meines Fluchens entschuldigte. Höfichkeit, meinte sie, sei am Morgen wichtiger wie zu jeder anderen Tageszeit, und besonders dann, wenn man auf einem so engen Wohnraum leben müsse wie wir. Die Uhr des Richters, die noch immer wie ein schwerer goldener Apfel an dem Ast hing, zeigte auf sechs Minuten nach sechs. Wir frühstückten – ich weiß nicht mehr, wer von uns das vorschlug, Orangen, kalte Würstchen und Mürbekuchen. Der Richter murrte, ein Mensch könne sich nicht als Mensch fühlen, solange er keine Tasse heißen Kaffees in sich hätte. Wir stimmten alle darin überein, daß wir den Kafee am meisten entbehrten. Riley erbot sich, in die Stadt zu fahren und welchen aufzutreiben. Auch könne er dann auskundschafen, was inzwischen geschehen sei. Er schlug vor, ich solle mitfahren: „Niemand wird ihn sehen, wenn er sich unter dem Sitz versteckt." Obwohl der Richter Einwände machte und es als eine dumme Idee bezeichnete, stand Dolly mir bei. Ich war so begierig auf eine Fahrt in Rileys Auto, daß nichts auf der Welt, auch nicht die Aussicht, daß mich jemand sehen könnte, meine Begeisterung dämpfen konnte. Dolly sagte: „Ich kann darin auch nichts Schlimmes sehen. Aber du sollst ein sauberes Hemd anziehen, auf deinem Kragen könnte ich Steckrüben säen."
Das Grasfeld schwieg. Nicht einmal ein Fasan strich ab mit einem raschelnden, verstohlenen Flug. Die scharf gespitzten Halme waren schneidend und blutrot wie Speere nach einem Massaker. Spröde zersplitterten sie unter unseren Füßen, als wir hügelaufwärts zum Friedhof wateten. Der Blick von dort oben war schön, auf das grenzenlose wogende Wipfelmeer der Flußwälder und auf fünfzig Meilen gepfügten Landes voller Windmühlen, und ganz fern der spitze Turm des Rathauses und die rauchenden Kamine der Stadt. Bei den Gräbern meiner Mutter und meines Vaters machte ich halt. Ich hatte sie nicht of aufgesucht, der Grabstein stimmte mich traurig durch seine Kälte. Wie anders war alles, dessen ich mich entsann, ihr Lebendigsein, und wie sie geweint hatte, wenn er wegfuhr, um seine Kühlschränke zu verkaufen, und wie er nackt auf die Straße gelaufen war. Ich wünschte Blumen für die Terrakottavasen, die leer auf dem scheckigen und schmutzigen Marmor standen. Riley half mir; er riß die ersten Knospen von einem Kamelienstrauch ab, und als ich sie hineinsteckte, sagte er: „Ich freue mich, daß deine Ma nett war. Gibt Weibsbilder, ganz durchtriebene."
Ich rätselte, ob er wohl von seiner Mutter sprach, der armen Rose Henderson, die ihn auf einem Bein durch den Hof hüpfen ließ mit seinem Einmaleins. Doch es schien mir, daß er über diese harten Tage hinweggekommen war. Immerhin hatte er jetzt einen Wagen, der dreitausend Dollar gekostet haben sollte. Natürlich ein gebrauchter. Ein Sportzweisitzer, ausländisch, ein Alfa-Romeo (Romeos Alfa sagte er witzelnd), den er einem Politiker in New Orleans abgekauf hatte, der im Kittchen saß.
Als wir die ungepflasterte Straße stadtwärts abschnurrten, hofe ich sehr auf einen Zeugen; es wäre mir wohl dabei gewesen, wenn gewisse Personen mich in Riley Hendersons Wagen hätten einhersegeln sehen. Aber für die Leute war es noch zu früh am Tag; das Frühstück stand noch auf dem Herd, und der Rauch schwebte aus den Kaminen der hinter uns liegenden Häuser in die Luf. Wir bogen bei der Kirche um die Ecke, fuhren rund um den Platz und parkten in der schmutzigen Straße zwischen Coopers Pferdeställen und der Bäckerei zur Heuschrecke. Dort mußte ich nach Rileys Anweisungen warten; er würde in einer knappen Stunde wieder zurück sein. Also streckte ich mich auf den Sitzen aus und lauschte dem frechen Schilpen der diebischen Spatzen auf dem Heuhaufen vor den Pferdeställen und atmete den knusprigen Duf des frischen Brotes ein, der aus der Bäckerei strömte. Das Ehepaar, dem die Bäckerei gehörte, hieß County, Mr. und Mrs. C. C. County; sie mußten den Tag um drei Uhr morgens beginnen, um zu der Verkaufszeit um acht Uhr fertig zu sein. Es war ein sauberer und einträglicher Laden. Mrs. County konnte sich die teuersten Kleider aus Verenas Konfektionsgeschäf leisten. Während ich so dalag und die guten Dinge roch, öfnete sich die Hintertür der Bäckerei, und Mr. County fegte mit einem Besen den Mehlstaub auf die Straße. Ich wette, er staunte, als er Rileys Wagen sah, und er staunte noch mehr, mich darin zu entdecken.
„Was treibst du hier, Collin?"
„Gar nichts, Mr. County",
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