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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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mit 'ner Zigarette aushelfen? Danke, Sie sind ein Engel." Als sie die Zigarette anzündete, bemerkte ich, wie hager ihre Hände waren und wie rauh; die Fingernägel waren nicht lackiert, und einer von ihnen war schwarz, als ob er in eine Tür geklemmt worden sei. „Man hat mir gesagt, daß wir in dieser Richtung eine Miß Talbo finden könnten. Dolly Talbo. Sie scheint in einem Baum zu leben. Sagen Sie mir doch freundlichst, wo …"
       Was hinter ihrem Rücken aus dem Innern des Vehikels zum Vorschein kam, schien ein ganzes Waisenhaus zu sein. Babys, die kaum auf ihren krummen, rachitischen Beinchen watscheln konnten, Struwwelköpfe mit lang herunterhängenden Rotzfäden, Mädchen, die alt genug für Büstenhalter waren, und eine ganze Stufenleiter von Jungens, ein paar davon so groß wie Männer. Ich zählte bis zehn, inbegrifen ein schielendes Zwillingspaar und ein in Windeln gehülltes Baby, mit dem sich ein Kind von höchstens zehn Jahren abschleppte. Noch und noch, wie Kaninchen bei einer Zaubervorstellung, kamen neue heraus, bis die Straße dicht bevölkert war.
       „Das sind alles Ihre?" fragte ich aufs tiefste erschrocken; bei einem nochmaligen Durchzählen kam ich auf fünfzehn Stück. Ein Junge von ungefähr zwölf Jahren mit einer winzigen Stahlbrille schwankte unter einem Riesenballonhut einher wie ein wandelnder Pilz. Die meisten von ihnen trugen Teile von Cowboykleidung, Stiefel oder zumindest einen Viehhirtenschal. Aber es war eine abschreckende kleine Horde, und auch etwas kränklich, als hätten sie schon jahrelang von gekochten Kartofeln und Zwiebeln gelebt. Sie drängten sich um den Wagen, geisterhaf leise, bis auf die Jüngsten, die auf die Scheinwerfer bumsten und auf den Kotfügeln trommelten.
       „Ganz richtig, Lieber, alles meine", antwortete sie, und klatschte die Kleinigkeit von einem Mädchen weg, das an ihrem Bein hochzuklettern versuchte. „Manchmal stelle ich fest, daß wir eins oder zwei aufgesammelt haben, die nicht dazu gehören", fügte sie mit einem Achselzucken hinzu, und einige von den Kindern grinsten. Sie schienen sie zu vergöttern. „Ein paar von ihren Papis sind tot; ich vermute, die übrigen leben noch – auf diese oder jene Weise. Das geht uns aber jedenfalls nichts an. Ihr wart wohl auf unserer Versammlung letzten Abend? Ich bin Schwester Ida, die Mutter vom kleinen Homer Honey." Ich wollte wissen, welcher von ihnen der kleine Homer sei. Sie spähte umher und grif den bebrillten Jungen heraus, der unter seinem Riesenhut heranwackelte und uns begrüßte: „Gelobt sei Jesus. Wollt ihr einen Pff?" und er brachte mit aufgeblasenen Backen einen dünnen Pfeifon hervor.
       „Und nur einer von denen", erklärte seine Mutter und steckte ihr Haar im Nacken zusammen, „jagt dem Teufel Schrecken ein. Und außerdem hat man dafür noch eine Anzahl von praktischen Verwendungen."
       „Fünfundzwanzig Cents", handelte das Kind mit uns. Es hatte ein sorgenvolles kleines Gesicht, weiß wie Coldcreme. Der Hut fel fast auf seine Augenbrauen.
       Ich würde einen Pff gekauf haben, wenn ich Geld gehabt hätte. Man konnte sehen, daß alle hungrig waren. Riley empfand das auch, jedenfalls brachte er fünfzig Cents zutage und kaufe zwei Pffe. „Gott segne dich", dankte der kleine Homer, schob die Münze zwischen seine Lippen und biß kräfig darauf. „Es gibt soviel Falschgeld heutzutage", verteidigte ihn seine Mutter zutraulich. „In unserem Erwerbszweig sollte man diese Art von Verdruß nicht erwarten", seufzte sie.
       „Aber wenn Sie uns nun freundlichst die Richtung zeigen würden – wir können nicht viel weiter kommen, haben kein Benzin mehr."
       Riley riet ihr, nicht ihre Zeit zu verlieren. „Dort weiter kommt nichts mehr", sagte er und ließ den Motor an. Ein Fahrer hinter uns, der durch uns blokkiert war, ließ seine Hupe heulen.
       „Nicht in dem Baum?" Ihre Stimme erhob sich klagend über den ungeduldigen Lärm des Motors. „Aber wo werden wir sie dann fnden?" Mit den Händen versuchte sie den Wagen zurückzuhalten. „Es ist sehr wichtig, wir …"
       Riley ließ den Wagen vorwärts springen. Zurückblickend sah ich sie, wie sie uns nachschauten in der Wolke aufgewirbelten Staubes, die hinter uns herzog. Das verdroß mich, und ich erklärte Riley, daß wir hätten herausfnden müssen, was sie wollten.
       Und er antwortete: „Mag sein, ich weiß es."

    Er wußte ziemlich viel, denn Amos Legrand hatte ihn ausführlich über die

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