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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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hast. Wenigstens wollen wir einmal nachsehen."
       Der Richter versuchte, uns daran zu hindern, oder vielmehr behauptete er, daß er uns begleiten müsse, wenn Dolly einen Schlendergang machen wolle. Das ging eine Zeitlang hin und her, und es besänfigte meinen eifersüchtigen Groll, als Dolly ihm sagte, er möge sich lieber an seine Hausarbeit halten. Mit Collin fühle sie sich sicher genug, es sei nur, um ein wenig die Beine zu vertreten.
       Wie gewöhnlich eilte sich Dolly nicht. Selbst wenn es regnete, hatte sie die Gewohnheit, den gewohnten Weg entlang zu trödeln, als schlenderte sie in einem Garten, und ihre Augen suchten in erster Linie wertvolle, essenzkräftige Heilpf lanzen, ein Zweiglein Flohkraut, Majoran und Minze, nützliche Kräutchen, deren Wohlgeruch ihre Kleider durchdufete. Sie sah alles zuerst, und es war ihre einzige Eitelkeit, daß sie selbst – und nicht etwa ein anderer – auf gewisse Entdeckungen aufmerksam machte, auf die Zierlichkeit einer Vogelspur oder auf Eiszapfen an der Dachtraufe. Immerfort rief sie: „Komm und sieh diese Wolke, die wie eine Katze buckelt, das Schiff in den Sternen, den blühenden Frost auf den Scheiben." Auf diese langsame Weise überquerten wir das Gras, während Dolly in ihrer Tasche verblühten Löwenzahn sammelte und Fasanenfedern. Ich dachte, wir würden die Straße erst bei Sonnenuntergang erreichen.
       Glücklicherweise brauchten wir nicht so weit zu gehen; wir fanden, als wir den Friedhof betraten, Schwester Ida und ihre ganze Familie zwischen den Gräbern gelagert. Es war ein kummervoller Spielplatz. Eine ältere Schwester stutzte das Haar der schielenden Zwillinge, und der kleine Homer polierte seine Schuhe mit Spucke und Blättern; ein beinahe erwachsener Junge, der sich mit dem Rücken gegen einen Grabstein lümmelte, zupfe melancholische Töne aus einer Gitarre. Schwester Ida säugte das Baby; es lag zusammengeringelt an ihrer Brust wie ein rosa Ohr. Sie erhob sich nicht, als sie uns gewahrte, und Dolly begrüßte sie: „Ich glaube, Sie sitzen auf meinem Vater."
       Es war tatsächlich das Grab von Mr. Talbo, und Schwester Ida entziferte den Grabstein: Uriah Fenwick Talbo, 1844–1922, Tapferer Soldat, Geliebter Gatte, Zärtlicher Vater. „Tut mir leid, Soldat", murmelte sie. Und während sie die Bluse zuknöpfte, worüber das Baby wimmerte, erhob sie sich.
       „Bitte nicht; ich wollte nur – ich wollte mich vorstellen." Schwester Ida zuckte die Achseln. „Das Baby hat sowieso schon angefangen, mir weh zu tun", sagte sie und rieb sich dabei auf entsprechende Art. „Da bist du ja wieder", rief sie und blickte mich belustigt an. „Wo ist dein Freund?"
       „Ich hatte verstanden …" Dolly hielt inne, gestört durch den Kinderwirrwarr, der sie umdrängte. „Wollten Sie mich", fuhr sie fort und versuchte einen karnickelgroßen Jungen nicht zu beachten, der ihren Rock hochhob und ihre Schienbeine ungestüm prüfe, „nicht sprechen? Ich bin Dolly Talbo."
       Schwester Ida nahm das Baby auf den anderen Arm, legte den freien um Dollys Taille und mit einer wirklichen Herzlichkeit, so, als wären sie die ältesten Freunde, sprach sie: „Ich wußte, daß ich auf Sie zählen konnte, Dolly. Kinder", sie hob das Baby wie einen Heroldsstab, „sagt Dolly, daß wir niemals ein Wort gegen sie gesagt haben!"
       Die Kinder schüttelten murmelnd ihre Köpfe, und Dolly schien gerührt zu sein. „Wir können einfach die Stadt nicht verlassen, ich erzähl es ihnen andauernd", klagte Schwester Ida und stürzte sich in die Geschichte ihrer mißlichen Lage. Ich hätte gern ein Bild von den beiden zusammen, Dolly, formell und altmodisch wie ihr alter Reiseschleier, und Schwester Ida mit ihren üppigen Lippen und ihrer den Sinnenfreuden nicht abgeneigten Leiblichkeit. „Es ist eine Sache des Bargeldes; sie haben uns alles weggenommen. Ich hätte sie alle verhafen lassen sollen, diesen ausgekotzten Buster und den, wie war sein Name, den Sherif, der denkt, er sei der King Kong aus dem Film." Sie holte Luf, ihre Wangen waren wie himbeerfarbene Läppchen. „Wir sind pleite, das ist die reine Wahrheit. Und selbst wenn wir von Ihnen gehört hätten, es ist nicht unsere Art, schlecht von jemand zu sprechen. O ja, ich weiß, das war nur ihr Vorwand, aber ich dachte, Sie könnten das in Ordnung bringen und …"
       „O liebe Zeit – ich bin schwerlich dazu geeignet", antwortete Dolly.
       „Aber was würden Sie tun? Mit einem halben

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