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Die Grasharfe

Titel: Die Grasharfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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kritischen Augenblick fel mein Blick auf den kleinen Homer. Ganz allmählich entrollte er sein Lasso. Schlangengleich kroch und baumelte es, und die weite Schlinge war geöfnet wie ein Paar Kinnbacken; sie schnappte, fachmännisch geschleudert, um den Nacken des Reverend Buster, dessen Würgeschrei der kleine Homer dadurch unterdrückte, daß er das Seil kräfig anzog.
      Seinen Freunden blieb nicht viel Zeit, sich mit seiner mißlichen Lage zu befassen, mit seinem blutunterlaufenen Gesicht und seinen umherrudernden Armen; denn der Erfolg des kleinen Homer löste bei uns einen Generalangrif aus. Steine fogen, Pffe schrillten wie Schreie aufgestörter Vögel, und die Männer, die sich gegenseitig knufen und in allgemeiner Verwirrung wegpufen, suchten Schutz, wo sie konnten, besonders unter den Leibern der Kameraden, die schon am Boden lagen. Verena mußte Amos Legrand eins um die Ohren boxen, denn er versuchte unter ihren Rock zu kriechen. Man kann behaupten, daß sie allein sich wie ein wirklicher Mann benahm; sie drohte mit ihren Fäusten zu den Bäumen empor und verwünschte uns in Grund und Boden.
    Auf dem Höhepunkt des Getöses dröhnte ein Schuß, wie wenn eine eiserne Tür hefig zuschlägt. Sein ernstes, endloses Echo löschte unsere Kampfeslust; und in der Stille, die eintrat, hörten wir etwas mit Wucht durch die benachbarte Sykomore herunterkrachen.
      Es war Riley, und er fiel und fiel, langsam und schlaf wie eine abgeschossene Katze. Die Mädchen kreischten und hielten sich die Augen zu, als er durch die brechenden Äste stürzte und mit dem zerfetzten Laub durch die Luf herunterschwankte, bis er, als ein blutender Haufen, auf der Erde aufschlug. Keiner näherte sich ihm.
      Bis endlich der Richter sagte: „Junge, mein Junge", und außer sich neben ihm in die Knie brach; er streichelte Rileys schlafe Hände. „Hab Erbarmen, Sohn, hab Erbarmen – antworte." Die anderen Männer, vor Furcht zitternd und schafsdumm, schlossen sich zu einem Kreis um sie. Einer erteilte Ratschläge, aber der Richter schien außerstande, sie zu begreifen. Einer nach dem anderen ließen wir uns aus den Bäumen herunter, und man hörte das zunehmende Gefüster der Kinder: „Ist er tot? Ist er tot?" Es war wie ein Stöhnen, wie das gedämpfe Heulen einer Schifssirene. Mit respektvoll gelüfteten Hüten gaben die Männer den Weg für Dolly frei. Sie war zu betäubt, um Notiz von ihnen zu nehmen, ebensowenig wie von Verena, an der sie vorbeiging, ohne sie zu sehen.
       „Ich will wissen", sagte Verena in einem Ton, den man nicht überhören konnte, „welcher von euch Idioten den Schuß abgefeuert hat?"
       Die Männer beäugten sich gegenseitig mit vorsichtigen Blicken; die meisten waren auf Big Eddie Stover gerichtet. Seine Kinnbacken zitterten, und er benetzte seine Lippen. „Zum Teufel, ich wollte auf niemanden schießen. Ich habe bloß meine Pficht getan, das ist alles."
       „Das ist nicht alles", entgegnete Verena streng. „Ich mache Sie verantwortlich, Mr. Stover."
       Daraufin wandte sich Dolly um; ihre Augen, die man hinter dem Schleier nur undeutlich sah, umfaßten Verena mit einem Blick, der alle anderen ausschloß. „Verantwortlich? Keiner ist das – außer uns selbst."
      Schwester Ida war neben dem Richter an Rileys Seite niedergekniet. Sie zog ihm das Hemd über den Kopf. „Dankt euerm Schöpfer, es ist nur seine Schulter", rief sie, und die Seufzer der Erleichterung, namentlich allein die von Eddie, hätten genügt, um einen Papierdrachen in die Lüfe steigen zu lassen. „Aber er ist trotzdem ganz schön ramponiert. Einige von euch Kerlen sollten ihn lieber zum Doktor tragen." Sie stillte Rileys Blut mit einem Verbandfetzen, den sie von ihrem Rock herunterriß. Der Sherif und drei seiner Männer verschränkten die Arme und stellten auf diese Weise eine Bahre her, auf der sie Riley tragen konnten. Er war nicht der einzige, der getragen werden mußte. Der Reverend Buster war ähnlich schwach auf den Beinen; mit schlenkernden Gliedern wie eine Marionette, und zu schwach, um die Schlinge zu bemerken, die noch um seinen Hals hing, brauchte er von mehreren Seiten Hilfe, ehe er sich auf den Weg machen konnte. Der kleine Homer schrie ihm nach: „He, gib mir mein Seil zurück!"
    Amos Legrand wartete darauf, Verena begleiten zu dürfen; sie befahl ihm, ohne sie zu gehen, da sie nicht die Absicht habe, den Platz zu verlassen, wenn nicht Dolly – zögernd sah sie auf die übrigen von uns,

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