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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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... für Kendrick. Nimm es nicht ernst. Mein Kopf war so voll von dummem Zeug ...«
    »Aber natürlich, Barrick — oh, Barrick, gewiß doch. Setz dich.« Sie half ihm neben sich auf die Bank. Auch im Sitzen ließ er ihre Hand nicht los, hielt sie ganz fest in seinen feuchten, heißen Fingern.
    Hierarch Sisel, der lediglich mit einer winzigen, taktvollen Spur von Verwunderung gewartet hatte, bis der gesamte Hofstaat wieder ruhig und geordnet dasaß, fuhr jetzt mit seiner Ehrenrede fort.
    »›Gleich, ob wir in Zeiten der Freude oder in Zeiten des Leides geboren sind, ob wir aus unserem Leben ein Wunder in den Augen aller oder eine Schande vor dem Himmel machen, die Götter gewähren uns doch nur die uns zugemessene Zeit‹, so sprach der Orakelpriester laris in der hohen Zeit Hierosols, und er sprach wahr. Keinem Menschen, und stünde er noch so hoch, ist etwas anderes sicher als der Tod. Aber sei er auch noch so gering, seine Seele kann doch einen Platz bei den Unsterblichen im Himmel finden.
    Kernios, dem Herrn der schwarzen, fruchtbaren Erde, vertrauen wir die sterbliche Hülle unseres geliebten Kendrick Eddon an. Erivor, dem Herrn der Wasser, geben wir das Blut, das in seinen Adern floß,, zurück. Aber Perin, dem Herrn der Himmel, empfehlen wir seine Seele, auf daß sie gen Himmel und in die Halle der Götter getragen werden möge, so wie der Vogel vom Wind getragen wird, bis er sein schützendes Nest wieder erreicht.
    Möge der Segen der Drei auf diesem unserem Bruder ruhen. Möge der Segen der Drei auch auf denen ruhen, die zurückbleiben müssen.
    Die Welt wird ein dunklerer Ort sein, denn sein Licht ist nicht mehr hier, aber es wird leuchten in den Hallen der Götter und ein Stern sein am Himmel ...«
     
    Am Ende seiner Rede streute der Hierarch eine Handvoll Erde auf den Sarg, besprengte ihn dann mit etwas Wasser aus einem Zermonialkrug und legte als letztes eine einzelne weiße Feder darauf. Während die versammelten Edelleute die Antwortformeln auf Sisels Worte sprachen, traten vier Garden vor, steckten zwei lange Stangen durch die Sarggriffe, wobei sie den gestickten Kopf des Eddon-Wolfs auf dem Sargtuch so verschoben, daß sich sein grimmiges Zähnefletschen in einen Ausdruck der Verwirrung zu verwandeln schien, hoben dann den Sarg an und trugen ihn zum Ausgang der Kapelle.
    Langsam, damit Barrick nicht zurückfiel, ging Briony an ihren Platz hinter dem Sarg. Sie fuhr mit der Hand unter das Familienbanner, um das polierte Holz zu berühren. Sie wollte etwas sagen, konnte aber einfach nicht glauben, daß der Kendrick, den sie kannte, in diesem Kasten lag.
    Es wäre zu grausam — unter diesen ganzen Stein gebettet zu werden. Er ist doch so gern geritten und gerannt ...
    Sie weinte wieder, während der Sarg hinter einer Ehrenwache her aus der Kapelle getragen wurde und alle Edelleute sich hinter den Zwillingen einreihten.
    Die übrigen Palastbewohner warteten am blumenbestreuten Weg, Bedienstete und mindere Adlige, die jetzt die einzige Gelegenheit hatten, den Sarg mit den sterblichen Überresten des Prinzen zu sehen. Viele weinten und wehklagten, als hätte der Tod Kendrick eben erst ereilt, und Briony merkte, daß das Gejammer sie rührte, aber irgendwie auch ärgerte, jedenfalls brachte es sie für einen Moment so weit aus der Fassung, daß sie gegen den Drang ankämpfen mußte, kehrt zu machen und in die Kapelle zurückzurennen. Sie wandte sich Barrick zu und sah, daß er die Menge kaum wahrzunehmen schien. Er starrte, die Zähne grimmig zusammengebissen, auf den Boden und brauchte seine gesamte Kraft dafür, einfach nur hinter dem Sarg herzugehen. Ihn anzusehen, war zu schmerzlich, ja, fast schon beängstigend: Er wirkte, als wäre er immer noch in einem Fiebertraum gefangen, als wäre lediglich sein Körper in die Welt der Gesunden zurückgekehrt.
    Sie wandte sich von Barrick ab, und als ihr Blick über die Menge am Wegrand glitt, sah sie von einer Gebäudemauer ein kleines Gesicht aufmerksam herabschauen — ein blonder Junge, der offenbar der besseren Aussicht wegen dort hinaufgeklettert war. Einen Augenblick hatte sie Angst um das Kind — das immerhin in Baumwipfelhöhe hing —, aber es schien so sorglos wie ein Eichhörnchen.
    Barrick hatte sie jetzt wieder eingeholt und flüsterte ihr ins Ohr: »Sie sind nämlich überall.«
    Zuerst dachte sie, er spräche von kleinen Jungen wie dem dort oben an der Mauer. »Wer?«
    Er legte sich den Zeigefinger auf die Lippen. »Pst, leise. Sie ahnen nicht,

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