Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
jetzt wieder auf war — während der ganzen gräßlichen Beisetzung und der nicht minder langatmigen und anstrengenden Zeremonie im riesigen, von erstickenden Weihrauchschwaden erfüllten Trigonatstempel der Burg, wo ihm und Briony die Regentschaft übertragen worden war —, hatte er sich nie richtig wohl gefühlt. Dieses schreckliche Fieber war durch ihn hindurchgefegt wie ein Buschfeuer über eine Waldlichtung. Fundamentale Dinge, Wurzeln und Äste, waren weg, und es würde dauern, bis sie wieder nachwuchsen. Gleichzeitig schien das Fieber unbekannte Sporen hinterlassen zu haben, Samen neuer Gedanken, die er in sich quellen und aufs Auskeimen warten fühlte.
    Was wird aus mir werden?
fragte er sich und starrte auf seine verkrümmte linke Hand.
Ich war ja bereits ein Monstrum. Objekt der Verachtung, geplagt von diesen schrecklichen Träumen, von ... Vaters Vermächtnis. Werde ich jetzt auch noch ein Objekt des Verrats?
Sie wollten nicht verschwinden, diese neuen Gedanken, diese Mißtrauensgefühle, die zu allen Tages- und Nachtzeiten in ihm kratzten und nagten wie Ratten in den Wänden. Er hatte gebetet und gebetet, aber das schien die Götter nicht zu kümmern, jedenfalls nicht genug, daß sie sein Elend linderten.
    Sollte ich Gailon in dieser Sache besser zuhören?
Aber Barrick traute seinem Vetter ganz und gar nicht. Jedermann wußte, daß Gailon Ambitionen hatte, auch wenn er keineswegs der Schlimmste in seiner Familie war: Im Vergleich zu seinen Brüdern, dem verschlagenen Caradon und dem skrupellosen Hendon, wirkte der Herzog von Gronefeld geradezu jungfräulich sanft und schüchtern. Außerdem traute Barrick keinem der Edelleute von Südmark, nicht Brone, nicht Tyne Aldritch von Wildeklyff und nicht einmal dem alten Burgvogt Nynor, ganz egal, welch wertvolle Dienste sie seinem Vater geleistet hatten. Er vertraute niemandem außer seiner Schwester, und jetzt hatten Gailons Worte auch an diesem Band zu nagen begonnen. Barrick stand auf, so wütend und unglücklich, daß selbst der Hund vor ihm zurückschreckte. Seine beiden Pagen warteten mit ernsten Gesichtern, sahen ihn an wie kleinere Tiere ein größeres, das womöglich hungrig war. Er hatte sie mehrfach angeschrien, seit er sich von seinem Fieberlager erhoben hatte, und jeden von ihnen mindestens einmal geschlagen.
    »Ich muß mich jetzt ankleiden«, sagte er, um einen ruhigen Ton bemüht.
    In einer Stunde trat der Kronrat zusammen. Vielleicht sollte er Briony einfach geradeheraus fragen, was sie mit dem dunkelhäutigen Gesandten zu schaffen hatte. Beim Gedanken an das hagere braune Gesicht und das hochmütige Lächeln dieses Dawet lief Barrick ein leiser Schauer über den Rücken. Es war wie etwas aus seinen Fieberträumen, in denen ihn diese schattenhaften, herzlosen Kreaturen verfolgten. Aber sein Wachleben war seither auch ziemlich albtraumhaft gewesen. Er konnte nur eins tun: sich vor Augen halten, daß er jetzt wach
war,
daß die Wände massiv und solide waren, daß ihn nicht aus jedem Winkel Augen beobachteten.
    Beinah hätte ich Briony das mit Vater erzählt,
ging ihm auf. Das durfte er niemals tun. Es wäre das Ende aller glücklichen Gemeinsamkeit, für sie beide. »Ich warte, verflucht!«
    Die Pagen hatten seine dunkle, pelzbesetzte Robe aus der Truhe gehoben; jetzt eilten sie zu ihm, schwerfällig unter ihrer Last, schleppten das schwere Ding wie den Leichnam eines getöteten Feindes.
    Was wollte Briony von diesem Gesandten? Und wichtiger noch, warum hatte sie ihm, ihrem Bruder, nichts davon gesagt? Er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß sie höchst bereitwillig gewirkt hatte, die Regentschaft ohne ihn zu übernehmen, ihn allein auf seinem Schmerzenslager liegen zu lassen ...
    Nein.
Er verscheuchte die Gedanken, aber sie entfernten sich nicht weit: Wie unwirsch abgewiesene Bettler zogen sie sich nur aus seiner unmittelbaren Reichweite zurück.
Nein, nicht Briony. Wenn ich jemandem trauen kann, dann Briony.
    Seine Knie zitterten, als sich die beiden Pagen auf die Zehenspitzen stellten, um ihm die Robe um die Schultern zu drapieren. Er konnte die Gesichter der Knaben nicht sehen. Er wußte, sie sahen sich an. Er wußte, sie dachten, daß mit ihm irgend etwas nicht stimmte.
    Habe ich immer noch Fieber?
fragte er sich, o
der ist es das, wovon Vater gesprochen hat? Fängt es jetzt richtig an?
    Einen Moment lang war er wieder in den düsteren Gängen seiner Krankheit, erblickte in der Ferne rot flimmerndes Dunkel. Er sah keinen

Weitere Kostenlose Bücher