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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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daß ich es weiß, aber ich weiß es. Und wenn ich in mein Geburtsrecht eingesetzt bin, werde ich sie für das bezahlen lassen, was sie getan haben.« Er fiel etwas zurück und starrte wieder auf den Boden, den Mund zu einem gequälten Lächeln verkrampft.
    Bitte, laß es bald vorbei sein,
betete sie.
Barmherzige Zoria, laß uns einfach unseren Bruder in den Boden legen und mach, daß dieser Tag endet.
    Auf dem Friedhof angekommen, wand sich der Trauerzug zwischen den schrägen Schatten uralter Grabsteine dahin, bis er den Eingang der Familiengruft erreichte. Briony und Barrick, Anissa, Merolanna und noch ein paar andere folgten den Garden und ihrer Last hinab in die Erde, während die übrigen Edelleute auf dem Gras am Grufteingang zurückblieben und nicht recht zu wissen schienen, was tun.

    Der Friedhof war voller Großwüchsiger, allesamt in Trauerkleidung. Chert kam sich vor, als irrte er durch ein Dickicht von schwarzen Bäumen. Von dem Jungen keine Spur.
    Ihm blieb nichts als zu warten. Die Beisetzung war fast vorbei. Bald würde die königliche Familie wieder herauskommen, und die Menge würde sich zerstreuen. Vielleicht würde er dann ja irgendeinen Hinweis finden, wo das Kind abgeblieben war.
    Opalia wird mir nie verzeihen,
dachte er.
Was kann ihm widerfahren sein? Bei all den vielen Menschen hier — ist er vielleicht zufällig über seine richtigen Eltern gestolpert?
Selbst Opalia könnte damit leben, dachte er, wenn sie es nur sicher wüßte.
    Aber es geht ja nicht nur um Opalia,
gestand er sich ein.
Ich werde den Jungen auch vermissen, werde auch trauern, wenn er nicht mehr da ist. Felsriß und Firstenbruch, hör dich an! Du redest, als hätten sie Flint dort ins Dunkel gelegt, nicht den Prinzen. Er treibt sich einfach nur irgendwo herum, das ist alles ...
    Eine Hand berührte seinen Rücken. Er drehte sich um, und da stand der Junge.
    »Du! Wo warst du?« Cherts Herz pochte vor Freude und Erleichterung, und zu seinem eigenen Erstaunen packte er den Jungen und zog ihn an sich. Es war, als umarmte man eine widerstrebende Katze. Chert ließ den Jungen los und musterte ihn. Das Kind wirkte still, erfüllt von irgend etwas — Geheimnissen vermutlich, aber das war ja nichts Neues. »Wo bist du gewesen?« fragte Chert wieder.
    »Ich hab einen vom alten Volk getroffen.«
    »Wen? Was meinst du?«
    Aber Flint antwortete nicht. Er starrte vielmehr an Chert vorbei, dorthin, wo die königliche Familie in die Gruft hinabgestiegen war. Chert drehte sich um und sah, daß einige schon wieder draußen waren: Die Beisetzung war vorbei.
    »Du hast mir immer noch nicht gesagt, wo du warst, Junge ...«
    »Warum guckt diese Frau mich so an?«
    Chert drehte sich suchend im Kreis, bis er die untersetzte Frau in schwarz-goldenem Brokat sah, die ebenfalls zur Trauergesellschaft gehörte. Sie kam ihm irgendwie bekannt vor, und er überlegte, ob sie wohl die Großtante des ermordeten Prinzen sein konnte, Merolanna. Sie starrte den Jungen tatsächlich an, aber während Chert noch hinsah, wankte sie ein wenig, als könnte sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Flint versteckte sich rasch hinter Chert, aber er schien nicht ängstlich, nur vorsichtig. Chert guckte wieder hin und sah, wie die alte Frau von ihren Dienerinnen gestützt und in Richtung Hauptburg geführt wurde, aber noch im Gehen drehte sie sich immer wieder um, als suchte sie den Jungen, im Gesicht eine seltsame Mischung aus Schreck und Sehnsucht. Schließlich verlor Chert sie aus den Augen.
    Noch ehe er sich irgendeinen Reim auf das machen konnte, was er gesehen hatte, ging ein Raunen durch die Menge. Er packte den Jungen am Ärmel, um sicherzustellen, daß er nicht wieder verschwand. Der junge Prinz und die Prinzessin wurden jetzt die Grufttreppe emporgeleitet. Sie wirkten beide sehr mitgenommen, der Prinz vor allem so bleich und hohläugig, daß man hätte meinen können, er sei einer der Gruftbewohner, der für einen Moment ins Freie entflohen war.
    Arme Eddons,
dachte Chert, als die Zwillinge an ihm vorbeidrifteten, umgeben von Höflingen und Bediensteten, aber irgendwie doch schrecklich allein, so als wären sie nur teilweise in der Welt, die sich die restlichen Burgbewohner teilten. Es war kaum zu glauben, daß das die beiden waren, die er vor wenigen Tagen erst durch die Hügel hatte reiten sehen.
    Das Gewicht der Welt, das ist es, was jetzt auf ihnen lastet,
dachte er. Und erstmals fühlte er wirklich die Bedeutung dieser alten Redensart, die unbarmherzige

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