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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Ausweg.

    In Schwester Uttas länglichem Gesicht stand Belustigung, aber auch Besorgnis, und sie wählte ihre Worte vorsichtig. »Ich finde das eine sehr kühne Idee, Hoheit.«
    »Aber keine gute, ist es das, was Ihr sagen wollt?« Briony rutschte nervös auf ihrem Stuhl herum. So vieles brach derzeit in ihr an die Oberfläche, ein reißender Strom von Gefühlen und Sehnsüchten und manchmal sogar ... nun ja, es fühlte sich an wie
Stärke,
die Art Stärke, die sie immer wieder zu verbergen versucht hatte. Und all diese widerstreitenden Kräfte rissen an ihren Gliedmaßen und ihren Gedanken, als sei sie eine Fadenpuppe. »Ihr meint, ich provoziere unnötig. Ihr meint, ich soll es nicht tun.«
    »Ihr seid jetzt die Prinzregentin«, sagte Utta. »Ihr werdet tun, was Ihr für richtig haltet. Aber dies sind unruhige Zeiten — die Wasser sind aufgewühlt und trüb. Ist das wirklich der richtige Zeitpunkt für die Herrin des Reiches, etwas zu tragen, das alle Welt als Männerkleider betrachten wird?«
    »Ob das der Zeitpunkt ist?« Briony klatschte entrüstet in die Hände. »Wenn nicht jetzt, wann dann? Alles ist doch im Umbruch. Noch vor einer Woche wollte mich Kendrick dem Räuberhauptmann von Hierosol als Braut schicken. Jetzt regiere ich Südmark.«
    »Mit Eurem Bruder.«
    »Mit meinem Bruder, ja. Meinem Zwillingsbruder. Wir können tun, was immer wir wollen, was immer wir für richtig halten.«
    »Zunächst einmal«, sagte Utta, »vergeßt nicht, Barrick ist zwar Euer Zwilling, aber er ist nicht Ihr.«
    »Wollt Ihr sagen, daß er böse auf mich sein wird? Weil ich mich kleide, wie ich möchte, in praktische, robuste Kleider, statt in dieses Rüschenzeug für hirnlose Geschöpfe, die nur dazu da sind, das Auge zu erfreuen?«
    »Ich sage gar nichts, außer, daß Euer Bruder auch mit ansehen mußte, wie sich die Welt, die er kannte, von Grund auf veränderte. Und alle Menschen im Land ebenso. Es sind ja nicht nur die Veränderungen einiger weniger Tage, Prinzessin Briony. Vor einem Jahr, zur Erntezeit, saß Euer Vater noch auf dem Thron, und die Götter schienen zufrieden. Jetzt ist alles anders. Vergeßt das nicht! Es kommt ein dunkler, kalter Winter — droben in den Hügeln liegt bereits Schnee. Die Leute werden sich um ihre Feuer drängen und dem Wind lauschen, der übers Dachstroh pfeift, und sich fragen, was als nächstes kommt. Ihr König ist in Gefangenschaft. Sein Erbe ist tot — ermordet, und niemand weiß, warum. Meint Ihr, in diesen kalten, dunklen Nächten werden sie sagen: ›Den Göttern sei Dank, daß wir jetzt zwei Kinder auf dem Thron haben, die sich nicht scheuen, alles Hergebrachte auf den Kopf zu stellen‹?«
    Briony starrte in das schöne, strenge Gesicht der Zorienschwester.
Was gäbe ich darum, so auszusehen,
dachte Briony.
Weise, so weise und gelassen — dann würde niemand an mir zweifeln. Aber ich sehe die meiste Zeit aus wie eine Stallmagd, rot und verschwitzt.
»Nun ja, ich bin schließlich um Rat zu Euch gekommen«, sagte sie.
    Utta sagte mit einem anmutigen Achselzucken: »Gekommen seid Ihr zu Eurem Unterricht.«
    »Danke, Schwester. Ich werde über das nachdenken, was Ihr gesagt habt.«
    Sie hatten sich kaum wieder der Lektüre von Clemons
Geschichte Eions und seiner Völker
zugewandt, als es leise an die Tür klopfte.
    »Prinzessin Briony?« rief Rose Trelling von draußen. »Hoheit? Es ist gleich Zeit für den Kronrat.«
    Briony stand auf und küßte Utta auf die kühle Wange, ehe sie zu ihren wartenden Jungfern stieß. In dem engen Gang hatten sie nicht nebeneinander Platz, also gingen Rose und Moina hinter ihr her. Briony hörte ihre Röcke die Wände streifen.
    Moina Hartsbek räusperte sich. »Dieser Mann ... sagt, es wäre ihm eine Ehre, Euch morgen wieder im Garten treffen zu dürfen.«
    Briony mußte über den tadelnden Ton des Mädchens lächeln. »Meinst du mit ›dieser Mann‹ Gesandter?«
    »Ja, Hoheit.« Sie gingen ein Weilchen schweigend weiter, aber Briony spürte, daß Moina ihren ganzen Mut zusammennahm, um noch etwas zu sagen. »Prinzessin«, hob sie schließlich an, »verzeiht mir, aber warum trefft Ihr ihn? Er ist doch ein Feind des Königreichs.«
    »Wie so viele ausländische Emissäre. Graf Evander von Syan und dieser alte Sessio mit seinem pfeifenden Atem und seinem Geruch nach Pferdemist — ihr glaubt doch nicht, die wären Freunde, oder? Ihr erinnert euch doch sicher an dieses fette Schwein Angelos, den Gesandten aus Jellon, der mich jeden Tag freundlich

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