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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Krankheit nicht von meiner Seite gewichen.
    Sein Vater hatte auch nicht gelacht, fiel ihm plötzlich ein. Denn an jenem Perinstag waren sie alle zusammengewesen, Olin noch hier in Südmark, Kendrick noch am Leben, alles, wie es zu sein hatte. Jetzt war alles anders, und seit dem Fieber waren selbst seine eigenen Gedanken seltsam und unverläßlich.
    Er zwang sich, sich zu konzentrieren und ein Gesicht zu machen, wie es sich wohl für einen Prinzregenten angesichts eines verräterischen Vasallen geziemte. Trotz der Fußkette, die vom Stroh auf dem Kerkerboden halb verdeckt wurde und deren anderes Ende in der Mauer verankert war, wirkte der Tuani weniger wie ein Bär denn wie ein gefangener Löwe.
    Einen Löwen könnte man nie dazu bringen, an seiner Kette zu tanzen.
    »Ihr solltet Wachen haben«, sagte Avin Brone. »Es ist gefährlich ...«
    »Ihr seid ja bei uns«, sagte Briony schmeichelnd. »Ihr seid doch ein berühmter Kämpfer, Konnetabel.«
    »Bei allem Respekt, aber das ist Shaso auch.«
    »Aber er ist angekettet und Ihr nicht. Und er ist unbewaffnet.«
    Shaso bewegte sich. Barrick hatte es immer schwer gefunden, sich diesen Mann anders als alterslos zu denken, aber jetzt zeigten sich seine Jahre deutlich in der schlaffen Haut und den graubärtigen Wangen. Man hatte ihm frische Kleider gegeben, aber sie waren schäbig und verschlissen. Bis auf die Muskeln, die sich noch immer an seinen Unterarmen abzeichneten, und den Rücken, der noch immer nicht gelernt hatte, sich zu beugen, hätte der alte Mann ein Straßenbettler in Hierosol oder irgendeiner anderen südlichen Stadt sein können. »Ich werde Euch nichts tun«, knurrte er. »So tief bin ich nicht gesunken.«
    Barrick kämpfte eine Woge des Zorns nieder. »Habt Ihr das auch zu meinem Bruder gesagt, ehe Ihr ihn getötet habt?«
    Der Gefangene starrte ihn an. Sein dunkles Gesicht schien heller geworden, als ob sich eine feine Staubschicht von den Mauern darauf abgesetzt hätte oder die Farbe durch den Aufenthalt in dieser sonnenlosen Tiefe verblaßt wäre. »Ich habe Euren Bruder nicht getötet, Prinz Barrick.«
    »Aber was ist dann passiert?« Briony trat einen Schritt vor, blieb jedoch stehen, ehe Brone sich gezwungen sah, sie am Arm zu packen. »Ich würde Euch ja gern glauben. Was ist geschehen?«
    »Ich habe es Brone schon gesagt. Als ich Kendrick verlassen habe, war er noch am Leben.«
    »Aber Euer Dolch war voll Blut, Shaso. Wir haben ihn in Eurem Zimmer gefunden.«
    Der alte Tuani-Krieger zuckte die Achseln. »Es war nicht das Blut des Prinzen.«
    »Wessen dann?« Briony trat noch einen Schritt auf ihn zu, was selbst Barrick unruhig machte — sie stand jetzt innerhalb des Kettenradius, und sie kannten alle drei Shasos katzenhafte Schnelligkeit. »Sagt mir das.«
    Shaso sah sie einen Moment an, dann verzog sich sein Mund zu etwas, das ein Lächeln hätte sein können, nur daß kein Quentchen Heiterkeit, keine Spur von Fröhlichkeit darin lag. »Mein eigenes. Das Blut war von mir.«
    Barricks Zorn flammte wieder auf. »Er will sich herausreden, Briony — ich weiß, du möchtest ihm glauben, aber laß dich nicht an der Nase herumführen! Er war bei Kendrick, unser Bruder und die anderen beiden Männer wurden getötet, und die Wunden entsprachen seinem Dolch, den wir blutverschmiert gefunden haben. Er findet nicht einmal eine gute Lüge!«
    Briony schwieg einen Moment. »Barrick hat recht«, sagte sie schließlich. »Ihr verlangt von uns, viele unglaubliche Dinge zu glauben.«
    »Ich verlange gar nichts. Es kümmert mich nicht.« Doch selbst Shasos Hände verrieten ihren Besitzer — sie lagen in seinem Schoß wie harmlose Wesen, aber die dunklen Finger arbeiteten unablässig, krümmten und lösten sich wieder.
    »Es kümmert Euch nicht, daß mein Bruder tot ist?« Jetzt konnte Briony ihre Stimme nicht mehr ruhig halten. »Daß Kendrick ermordet wurde? Er war gut zu Euch, Shaso. Wir alle waren gut zu Euch.«
    »Oh, ja, Ihr wart gut zu mir, Ihr Eddons.« Er bewegte sich leicht, und die Kette klirrte. Avin Brone trat neben Briony. »Euer Vater hat mich in der Schlacht besiegt und mein Leben verschont. Er ist ein guter Mensch. Und dann hat er mich mit nach Hause genommen wie einen Hund, den man auf der Straße gefunden hat, und mich zu seinem Diener gemacht. Ein wahrhaft guter Mensch.«
    »Ihr seid schlimmer als ein Hund, undankbare Kreatur!« schrie Barrick. Das war zwar ein anderer Shaso, schwermütig und selbstmitleidig, aber es war doch der Mann, der

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