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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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ihn gequält hatte, der ihm so oft das Gefühl gegeben hatte, nicht vollwertig zu sein. »Ihr seid nie wie ein Diener behandelt worden! Er hat Euch in den Adelsstand erhoben! Er hat Euch Land gegeben, ein Haus, ein ehrenvolles Amt!«
    »Und darin war er am allergrausamsten.« Das schreckliche, leere Lächeln war jetzt wieder da, eine helle Kerbe in dem dunklen Gesicht. »Als mein altes Leben davonglitt wie ein vom Ufer abtreibendes Boot, hat er mir ein neues gegeben, ein Leben in Wohlstand und Ehren. Ich konnte ihn nicht einmal hassen. Und später, das ist wahr, wurde ich mein eigener Sklavenhändler — habe ich meine Freiheit verkauft. Aber nur weil ich von uns beiden der größere Verräter war, habe ich ihm noch lange nicht verziehen.«
    »Er gibt zu, daß er ein Verräter ist!« Barrick trat vor und zog an Brionys Arm, aber sie widersetzte sich. »Komm! Er gibt zu, daß er unsere Familie haßt. Wir haben genug gehört.« Er wollte nicht länger in diesem dunklen Verlies sein, durch klafterdicken Stein von Luft und Sonne abgeschottet, gefangen an diesem Ort, der nach Elend stank. Er fürchtete plötzlich, Shaso trüge Geheimnisse in sich, die schlimmer waren als jede Klinge, zerstörerischer noch als Mord. Er wollte, daß der alte Mann aufhörte zu reden.
    Briony wartete einen Moment, ehe sie sagte: »Ich verstehe nicht alles, was Ihr sagt, aber eines weiß ich — wenn Ihr meiner Familie gegenüber auch nur einen Funken Loyalität empfindet, und sei es eine befleckte Loyalität, dann müßt Ihr uns die Wahrheit sagen. Wenn es Euer Blut ist, wie kommt es dorthin?«
    Shaso streckte langsam die Arme vor. Die kreuz und quer verlaufenden Schnitte waren weitgehend verheilt. »Ich habe mir selbst Wunden beigebracht.«
    »Warum?«
    Er schüttelte nur den Kopf.
    »Er wurde wohl eher von den Wachen oder von Kendrick verwundet«, sagte Barrick. »Als sie um ihr Leben kämpften.«
    »War da Blut an ihren Waffen?« fragte seine Schwester. »Ich weiß es nicht mehr.« Von diesem ganzen Gerede über Blut war Briony ganz blaß geworden. Der Barrick von vor einem halben Jahr, das war ihm klar, hätte irgend etwas gesagt, um sie abzulenken, es ihr zu erleichtern, über so schreckliche Dinge zu reden, aber jetzt war er innerlich hohl und ausgebrannt.
    »Euer Bruder hatte keine Waffe«, antwortete Avin Brone, »was den Mord an ihm noch feiger macht. Die Wachen waren voller Blut aus ihren eigenen Wunden, daher ließ sich unmöglich feststellen, ob ihre Waffen blutig waren, ehe sie starben.«
    »Ihr habt immer noch nichts erklärt«, wandte sich Briony an den alten Mann. »Wenn wir Euch das glauben sollen, dann sagt uns, warum Ihr Euch geschnitten habt. Worüber habt Ihr mit Kendrick geredet, daß es so ein seltsames Ende nahm?«
    Der Waffenmeister schüttelte den Kopf. »Das ist ein Geheimnis zwischen ihm und mir. Ich werde es mit ins Grab nehmen.«
    »Das könnten nicht nur leere Worte sein, Shaso dan-Heza«, sagte Avin Brone. »Wie Ihr wißt, hatte unser Scharfrichter unter König Olin nicht mehr so viel zu tun wie zu Ustins Zeiten, aber seine Klinge ist immer noch scharf.«
    Der Waffenmeister richtete die rotgeränderten Augen zuerst auf Barrick, dann auf Briony. »Wenn Ihr meinen Kopf wollt, bitte. Ich bin des Lebens müde.«
    »Verdammt sei Euer Starrsinn!« rief Briony. »Wollt Ihr lieber sterben, als uns zu sagen, was geschehen ist? Auf welch obskures Ehrenwort versteift Ihr Euch, Shaso? Wenn es etwas gibt, das Euch das Leben retten kann, dann, um der Götter willen, sagt es!«
    »Ich habe Euch die Wahrheit gesagt — ich habe Euren Bruder nicht getötet. Ich hätte ihm nichts angetan, und wenn er mir selbst die Klinge an die Kehle gesetzt hätte. Weil ich geschworen habe, Euren Vater und sein Haus zu beschützen.«
    »Ihm nichts angetan?« Barrick fühlte sich jetzt wieder müde und krank — selbst sein Zorn war nur noch ein fernes Gewitter. »Seltsame Worte — Ihr habt mich oft genug zu Boden geworfen und mit Hieben traktiert. Die blauen Flecken vom letzten Mal sind noch nicht weg.«
    »Das war nicht, um Euch etwas anzutun, Prinz Barrick.« Die Worte des alten Mannes hatten eine kalte Schärfe. »Das war der Versuch, einen Mann aus Euch zu machen.«
    Jetzt war es Barrick, der mit erhobener Hand auf den Waffenmeister zutrat. Shaso rührte sich nicht, doch Barrick hielt inne, noch ehe Avin Brone bei ihm war. Ihm war wieder eingefallen, wie die Höflinge den Tanzbären mit Kirschkernen und Brotkrusten beworfen hatten und wie

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