Die Grenze
es ihr peinlich war oder ob sie sich einfach ihre Blütenträume nicht weiter zerstören lassen wollte, war nicht klar. Nach kurzem Schweigen fragte sie: »Aber wenn er sich in dich verliebt hat und du keine Prinzessin von irgendwo bist — das bist du doch nicht, oder? —, dann ... warum hat er dich dann geheiratet?«
»Erstens mal hat er mich noch gar nicht geheiratet«, erklärte Qinnitan. »Jedenfalls nicht daß ich wüßte. Ich habe von den Priestern einiges an religiöser Unterweisung erhalten — ein paar ziemlich seltsame Rituale waren das —, und vielleicht dient das ja dazu, mich auf die Hochzeitszeremonie vorzubereiten. Für manche Frauen hier gab es solche Zeremonien, andere wurden ... na ja, einfach genommen.
Aber warum er mich erwählt hat ... ich weiß es nicht. Und auch sonst scheint es in dieser Schlangengrube niemand genau zu wissen.«
»Ich habe ja so eine hübsche Überraschung für dich, Liebes«, verkündete Luian, als Qinnitan etwas außer Atem in den Gemächern der Begünstigten eintraf. »Wir müssen uns vorbereiten und schön machen, alle beide. Wir haben nicht viel Zeit.« Sie schnippte mit den Fingern, und ihre beiden stummen Tuani-Sklavinnen glitten herein wie Schatten.
»Aber ... danke, Luian. Was werden wir ...«
»Wir gehen in den Palast, meine Süße. Raus aus dem Frauenpalast, ja! Jemand ganz Besonderes wünscht dich zu sehen.«
Einen Moment lang bekam Qinnitan kaum Luft. »Der ... der Autarch?«
»Oh, nein!« Luian warf die Arme hoch und lachte. Das Tuani-Mädchen mit dem Brenneisen, das ihr um ein Haar den Arm verbrannt hätte, erbleichte. »Oh, nein, wenn es der Autarch selbst wäre, würden sie dich tagelang vorbereiten. Nein, wir treffen meinen Vetter.«
Es dauerte einen Moment, bis Qinnitan begriff. »Jeddin! Von den Leoparden?«
»Ja, Liebes, wir sind eingeladen, den gutaussehenden Jeddin zu besuchen. Er möchte mit dir sprechen, Geschichten aus der alten Nachbarschaft hören. Ich gehe als Anstandsdame mit, ich Glückskind. Ich bewundere diesen jungen Mann ja so sehr.«
»Aber ... darf ich mich denn überhaupt mit irgendeinem Mann treffen?«
Luians Stirn legte sich in ärgerliche Falten. »Er ist nicht irgendein Mann, er ist der Hauptmann der Leoparden, erwählt von unserem Autarchen selbst, gepriesen sei sein Name. Außerdem bin ich ja dabei, Kind, das sagte ich doch schon. Wenn das nicht ehrbar ist, was dann?« Aber der Blick der Begünstigten huschte kurz zu der Tuani-Sklavin neben ihr, und Qinnitan fragte sich doch, ob das wirklich alles so normal und selbstverständlich war, wie es Luian hinstellte.
Als sie beide fertig waren — Luian aufgetakelt wie eine Festbark in einem Kleid voller Fransen und Perlstickerei und Qinnitan in einem weniger auffälligen und angemessen jungfräulichen weißen Kapuzengewand, wie sie es, abgesehen von dem Qualitätsunterschied, auch bei einer Prozession der Schwestern vom Bienentempel hätte tragen können —, machten sie sich auf. Trotz ihrer Bedenken war Qinnitan freudig erregt: Nach drei Monaten würde sie endlich wieder einmal aus diesen Mauern herauskommen, wenn auch nur in einen anderen Teil des riesigen Obstgartenpalasts. Abgesehen von Duny und Qinnitans Mutter (die ihren Besuch hauptsächlich damit verbracht hatte, über das große Glück der Familie zu weinen) würde sie jetzt zum ersten Mal wieder jemanden von draußen sehen. Und natürlich würde Jeddin der erste richtige Mann sein, den sie zu Gesicht bekam, seit er und seine Soldaten sie hierhergebracht hatten, in dieses unentrinnbare Gefängnis aus wunderschönen Blumen, plätschernden Springbrunnen und kühlen Steinarkaden.
Die Begünstigten, die das äußere Tor des Frauenpalasts bewachten, waren überhaupt nicht wie Frauen gekleidet. Es waren die massigsten Menschen, die Qinnitan je gesehen hatte, ein halbes Dutzend Fleischberge mit Zeremonialschwertern, deren flache, krumme Klingen fast schon breit genug waren, um als Teetabletts zu dienen. Sie debattierten lange und flüsternd miteinander, ehe Luian, Qinnitan und die beiden stummen Tuani-Mädchen schließlich das Tor passieren und in den allgemeinen Palast hinaustreten durften, jedoch nicht, ohne daß einer der Wächter der kleinen Prozession folgte wie ein riesiger Hund einer Herde Schafe. Der kleine Trupp marschierte fast eine Stunde weiter, durch üppige, aber menschenleere Gärten und unbenutzte Gänge und Innenhöfe, die so opulent ausgestaltet waren, als warteten sie auf irgendeinen königlichen
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