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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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entscheiden, was zu tun ist. Daß der Junge Giebelgaup gefunden hat — wir glauben da die Hand des Himmels im Spiel. Es ist ewig lange her, daß uns ein Riese gegen unseren Willen gesehen hat. Wir können uns des Gedankens nicht erwehren, daß es wirklich Zeit sein könnte, mit Euresgleichen gemeinsame Sache zu machen. Vielleicht werdet Ihr ja nicht auf uns hören, und wir müssen wieder fliehen, obgleich uns Flucht, wie ich fürchte, nicht viel nützen wird, aber vielleicht hört Ihr ja auch auf uns. Das allein wird uns nicht retten, aber es wäre immerhin ein Anfang.«
    Chert schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, ich verstehe gar nichts. Aber ich versuche es. Weil der Junge einen von Euch gefangen hat, wollt Ihr Dachlinge gemeinsame Sache mit den Großwüchsigen machen? Warum?«
    »Obwohl wir schon so lange Jahre in Euren Schattenwinkeln leben, ist die Alte Nacht doch ein Schatten, der sich über alles legen und aus dem keiner von uns mehr herausfinden wird.« Die majestätische Maske schien ein wenig zu verrutschen; zum erstenmal sah Chert die Angst dahinter. »Sie kommt, Chert von Blauquarz. Wir hätten es in jedem Fall erahnt, aber die Wahrheit wurde uns unmittelbar offenbart, vom Herrn des Höchsten Punkts.« Als er sie so ernst und wohlerwogen sprechen hörte, hatte Chert keinen Zweifel, daß sie eine fähige Regentin war. Trotz ihrer Kleinheit fand er sie jetzt höchst bewundernswert. »Der Sturm, den wir seit den Tagen der Großmutter meiner Großmutter und noch länger fürchten, ist im Anzug«, sagte Königin Altania. »Er wird bald hier sein.«

    »Die Götter mögen uns beschützen«, murmelte Raemon Beck, aber es klang nicht so, als glaubte der junge Mann, daß sie es tun würden. Ferras Vansen starrte stumm auf das vor ihnen liegende Tal. Es war auch ihm unheimlich, aber es dauerte einen Moment, bis ihm klar wurde, warum eigentlich. Dann dachte er plötzlich an das Haus der alten Frau und an das, was er dort gefunden hatte. Da war er erst acht oder neun gewesen, fast schon so groß wie ein Mann, aber so dünn wie ein Bogenarm. Natürlich hatte er sich für sehr mutig gehalten.
     
    Ferras' Mutter machte sich Sorgen um die Witwe auf dem nächsten Gehöft, vielleicht weil ihr Mann zu der Zeit schon so kurzatmig war und kaum noch aus dem Bett kam und sie sich bereits auf ihre eigene Witwenschaft einstellte. Aber sie hatte wenigstens Kinder, die alte Nachbarin nicht. Sie hatten sie schon mehrere Tage nicht mehr gesehen, und ihre Ziegen streunten über die grünen, aber sommerlich trockenen Hügel. Aus Angst, die alte Frau wäre vielleicht zu krank, um sich selbst zu versorgen, schickte Ferras' Mutter ihren Ältesten mit einem Krug Milch und einem kleinen Laib Brot auf die andere Seite des Tals, nach der Nachbarin sehen.
    Schon aus einiger Entfernung spürte Ferras irgend etwas in der Stille, die über dem Gehöft lag, aber er wußte nicht, was. Das kleine Holzhaus war ihm ziemlich vertraut — er war Öfter mit seinen Schwestern dort gewesen, um der alten Frau ein Festtagsküchlein oder ein paar Blumen von seiner Mutter zu bringen. Die Alte hatte nie viel gesagt, ihnen aber immer ein kleines Geschenk aufgenötigt, obwohl sie kaum je mehr hatte erübrigen können als eine glänzende Holzperle von einer zerrissenen Kette oder ein wenig Dörrobst von den knorrigen Bäumen in ihrem Hof. Doch jetzt lag da irgend etwas Neues in der Luft, und der junge Ferras merkte, wie sich ihm die Haare auf den Armen und im Nacken aufstellten.
    Der Wind kam aus der anderen Richtung, sonst hätte er den Leichnam schon gerochen, ehe er an der Tür war. Es war Hochsommer, und als er die klemmende Tür aufdrückte, sprang ihn der Gestank an und krallte sich in seine Nase und seine Augen, daß er würgend zurücktaumelte und sich Tränen wegwischen mußte. Den Krug noch immer sorgsam in der Hand, da ihm über Generationen eingefleischte Kätnerssparsamkeit verbot, auch nur einen Tropfen Milch zu verschütten, ganz gleich unter welchen Umständen, blieb Ferras ein paar Schritt vom Haus stehen und wußte nicht, was tun. Tod hatte er schon öfter gerochen: Ihm war jetzt nur zu klar, warum sie die alte Frau länger nicht mehr gesehen hatten. Und doch, als sich der erste Schock legte, verspürte er ein mächtiges Locken, ein Wissenwollen.
    Er hielt sich die Nase zu und trat durch die Tür. Ein bißchen Tageslicht fiel durch die Türöffnung hinter ihm, aber das Häuschen hatte nur ein Fenster, und da waren die Läden vorgelegt, deshalb

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