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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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drehten sich erwartungsvoll zum Dachfirst. Selbst Chert hielt den Atem an.
    Wie der Hochedle Riecher ritt auch sie auf einem Vogel, doch dieser hier war entweder besser abgerichtet oder aber die Zuchtmittel waren verborgen: Die schneeweiße Taube hatte keinen Gurt um die Flügel. Die winzige Gestalt auf ihrem Rücken schwankte nicht wie der Riecher auf einem überdachten, kastenartigen Sattel, sondern saß mit untergeschlagenen Beinen direkt zwischen den Flügeln, und die Zügel in ihren Händen waren kaum mehr als glitzernde Spinnenfäden. Ihr Gewand war braun und grau und reich verziert, ihr Haar dunkelrot.
    Die Taube blieb stehen. Die Höflinge und Wachen waren allesamt auf die Knie gefallen, auch die auf Cherts und Flints Schultern, obwohl Chert eine nadelspitze Pike an seinem Hals lehnen fühlte — vielleicht eine Vorsichtsmaßnahme. Selbst der Hochedle Riecher lag auf den Knien.
    Giebelgaup hob als erster den Kopf. »Ihre vortreffliche und unvergessene Majestät, Königin Altania«, verkündete er.
    Soweit Chert erkennen konnte, war die Königin weniger hübsch als vielmehr von majestätischer Schönheit, mit einem feinen, ausgeprägten Gesicht und Augen, die ohne erkennbare Furcht zu ihm empor sahen. Unwillkürlich beugte Chert den Kopf. »Eure Majestät«, sagte er, und für einen Moment kam es ihm ganz normal vor. »Ich bin Chert aus dem Hause Blauquarz. Das ist mein ... mein Mündel, Flint.«
    »Von dem Kind wissen wir schon.« Sie sprach langsam, aber ihr Markenländisch war, wenn auch vom Klang her etwas altertümlich, weit klarer als das von Giebelgaup. »Wir heißen Euch beide willkommen.«
    Der Riecher hievte sich mühsam hoch, trat auf sie zu und zwitscherte etwas.
    »Unser Ratgeber sagt, es sei ein Geruch von Schlechtigkeit an Euch«, berichtete die Königin. »Wir riechen nichts, aber er war uns immer ein verläßlicher Helfer. Er ist bereits in der sechsten Generation Vorriecher — seine Nase ist ungemein verfeinert. Aber wir sehen auch keine Schlechtigkeit in Euch oder dem Jungen, wiewohl wir glauben, daß in dem Jungen andere Geschichten schlummern, unerzählte Geschichten. Haben wir recht, Chert von Blauquarz? Ist da wirklich keine Schlechtigkeit?«
    »Soweit ich weiß, nicht, Eure Majestät. Ich wußte bis vor einer Stunde nicht einmal, daß Euer Volk noch existiert. Ich will Euch bestimmt nichts Böses.« Chert wurde klar, daß es wenig Bedeutung hatte, wie groß eine Königin war. Diese hier beeindruckte ihn, und er wollte ihr gefallen.
Was wäre Opalia neidisch, wenn sie das wüßte!
    »Wohl gesprochen.« Königin Altania winkte; zwei Soldaten sprangen herbei, um ihr vom Rücken der Taube zu helfen. Sie musterte kurz die fensterlosen Steinmauern ringsum. »Dies ist ein wohlgewählter Ort für ein Treffen — obschon es lange her ist, daß wir oder unsere Vorfahren ihn für eine derartige Zusammenkunft genutzt haben. Ihr werdet verzeihen, Chert von Blauquarz, aber wir sind es nicht gewöhnt, nach Art der Riesen zu sprechen, obgleich wir die alten Traditionen wachgehalten haben, um auf einen solchen Tag vorbereitet zu sein, so unwahrscheinlich es uns auch dünkte, daß er je käme.«
    »Ihr sprecht unsere Sprache sehr gut, Majestät.« Chert sah verstohlen zu Flint hinüber. Der Junge sah zu, schien das Ganze aber nicht interessanter zu finden als irgendeine Unterhaltung zwischen Erwachsenen. Warum hatten sie Flint überhaupt eingeladen? Was erhofften sie sich von ihm?
    Die Königin nickte lächelnd. »Obgleich unser Volk in Euren Schattenwinkeln lebt und sein Brot oft unter Euren Tischen und in Euren Schränken findet, ist es doch Generationen her, daß wir zuletzt miteinander geredet haben. Jetzt aber glauben wir, daß die Zeiten es erfordern.«
    »Ich bin etwas verwirrt, Majestät. Was erfordern die Zeiten?«
    »Daß Euer Volk und das unsere wieder miteinander reden. Denn wir von den höheren Gefilden haben Angst, und nicht nur um uns selbst. Das, was wir schlafend wähnten — wir haben zu viel Wissen in unserem königlichen Besitz, um es je tot geglaubt zu haben —, droht zu erwachen. Das, was wir vor so langer Zeit so freudig abgeschüttelt haben, greift wieder aus ... aber es sind nicht nur die
Sni'sni'snik-soonah,
die es zu fürchten haben.« Das Wort war ein schnelles Klicken, wie es nur ein Eichhörnchen oder eine Spottdrossel hervorzubringen vermochte.
    »Nicht nur wer?«
    »Mein Volk. Die Dachlinge in Eurer Sprache.« Die Königin nickte. »Deshalb müßt Ihr uns helfen zu

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