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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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dauerte es einen Moment, bis er mehr sah als nur Dunkel.
    Sie war tot, aber sie war trotzdem lebendig.
    Nein, nicht lebendig, aber das Etwas, das da, wie er nach längerem Hinstarren erkannte, mit dem Gesicht nach unten mitten auf dem strohbestreuten Lehmboden lag, als hätte sie noch zur Tür kriechen wollen — dieses Etwas wogte von Bewegung. Fliegen, Käfer und unzählige andere Krabbeltiere, die er nicht identifizieren konnte, bedeckten sie von Kopf bis Fuß: eine menschenförmige Masse von glitzerndem, wimmelndem Leben. Außer ein paar Strähnen weißen Haars war von der Alten kaum etwas zu sehen. Es war grausig, aber es war auch auf eine seltsame Weise erregend. Obwohl er sich hinfort dieses Gefühls schämte, hatte sich die Erinnerung doch für immer eingegraben: So viel Leben, das sich von einem einzigen Tod nährte.
    Im Halbdunkel schien die alte Frau in einer glänzend schwarzen Rüstung zu stecken, so etwas wie dem »Prunkstaat aus Licht«, von dem er den Priester einmal an einem Festtag hatte sprechen hören — jener Gewandung, die den toten Helden angelegt wurde, wenn sie vor die Götter traten ...
     
    »Was ist, Hauptmann? Ist Euch nicht gut? Was ist los?«
    Vansen schüttelte den Kopf, außerstande, Collum Saddlers Frage zu beantworten.
    Es war ohnehin schon ein seltsamer Tag gewesen, voller sonderbarer Entdeckungen. Die Flecken von blühenden Wiesenblumen am Straßenrand waren schon merkwürdig genug gewesen, Blumen, fast plattgeweht von frischen Herbstwinden, denen sie nie hätten ausgesetzt sein sollen. Dann war da das verlassene Dorf gewesen, ein paar Meilen zuvor, als Vansen und die anderen die Straße verlassen hatten, um die Pferde zu tränken — ein sehr kleines Dorf, zugegeben, die Art Weiler, die sich manchmal völlig leerte, wenn eine Viehseuche zuschlug oder der einzige Brunnen austrocknete, aber hier hatten eindeutig vor kurzem noch Menschen gewohnt. Ferras Vansen hatte zwischen den leeren Häusern gestanden, in der Hand ein holzgeschnitztes Kinderspielzeug, das er gefunden hatte, ein liebevoll gemachtes Pferdchen, das kein Kind freiwillig zurücklassen würde, und er war sich immer sicherer geworden, daß in diesem ganzen stillen Landstrich etwas höchst Beunruhigendes am Werk war. Als er jetzt auf die Szenerie vor sich starrte, hatte er nicht mehr den leisesten Zweifel, daß das Dorf und die verirrten Frühlingsblumen mehr als nur Zufall waren.
    Im Gegensatz zu dem Dorf war das Tal vor ihnen voller Leben, aber auf eine Art, die für Ferras Vansen mehr mit der toten Witwe gemein hatte, als ihm lieb war. Die Farben waren ... falsch. Zuerst war es schwer zu sagen, wieso — die Bäume hatten braune Stämme und grüne Blätter, das Gras war gelblich, aber nicht über das Maß hinaus, das für diese Jahreszeit, vor den ergiebigen Regenfällen, normal schien —, und doch war da eindeutig etwas Eigenartiges, irgend etwas mit dem Licht, das er auf den ersten Blick für eine Ausgeburt der dunklen Wolken gehalten hatte. Es war ein kalter grauer Tag, aber das allein konnte doch unmöglich der Grund dafür sein, daß die Farben dieses Tals so bläulich waren, so ... ölig.
    Als der Trupp in das Tal hinabzog, erkannte Vansen genaueres: Zwar schienen die Bäume und Hangwiesen tatsächlich einen unnatürlichen Farbton angenommen zu haben, aber ein gut Teil der seltsamen Wirkung verdankte sich einer bestimmten Pflanze, einem Schlinggewächs, das die übrige Vegetation zu ersticken schien und sich fast übers ganze Tal ausgebreitet hatte, ja sogar bis an den Rand der breiten Settländerstraße reichte. Die Blätter waren so dunkel, daß sie fast schwarz wirkten, aber so simpel war es nicht: Bei näherem Hingucken erkannte er Schattierungen von Lila, Tiefblau und selbst dunklem Schiefergrau, Farben, die sich beinah zu bewegen schienen.
    Die Blätter schillerten wie Trauben nach dem Regen, und die gewundenen Ranken waren leise beängstigend, wie schlafende Schlangen. Eine kalte Brise strich über die Pflanzen, aber er hatte fast das Gefühl, daß sie sich stärker bewegten, als es der leichte Wind erklärte, daß sie ein vibrierendes Eigenleben besaßen, so wie der gräßliche Insektenteppich im Haus der Kätnerswitwe.
    Die Ranken hatten Dornen, unangenehme Stacheln, halb so lang wie sein Zeigefinger, aber das seltsamste waren die Blüten, große, samtige, kohlkopfförmige Blüten, so nachtschwarz wie die Robe eines Kernios-Priesters. Das ganze Tal schien unter schwarzen Rosen zu ersticken.
    »Was ist

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