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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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»Gut, daß Ihr sie am Hals habt und nicht ich, Hauptmann.«
    Ferras zuckte die Achseln. »Ich bin froh, daß sie redet. Vielleicht erfahren wir ja irgendwann etwas von ihr, wofür wir Perin Wolkenwanderer danken werden.«
    »Vielleicht. Aber trotzdem, besser Ihr als ich.«
    In Wahrheit war Ferras Vansen fast schon froh über die Zerstreuung. Die Gegend, durch die sie jetzt ritten, war nicht so seltsam wie die letzten beiden Tagesetappen, menschenleer zwar und ein bißchen düster, aber ansonsten so ziemlich das, was er hier, annähernd auf der Hälfte der Strecke, erwartet hatte, und insofern nicht besonders interessant. Die großen Städte Settlands und der Markenlande lagen mehrere Tagesritte entfernt, und dieser Landstrich dazwischen hatte sich seit dem zweiten Krieg gegen die Qar entvölkert: Geblieben waren nur arme Kätner, Wäldler verschiedenster Art und ein paar verstreute Vollbauern. Die wenigen kleinen Städte wie Milnersford und Fenshill waren südlich der Settländerstraße entstanden, ein gutes Stück von der Schattengrenze entfernt. (Diese Städtchen lagen zu weit vom Weg ab, als daß sich ein Abstecher gelohnt hätte, was Saddler und die übrigen Männer sehr beklagten.) Weiter im Osten und im Westen, näher am Meer, waren auch die Winter milder: Kaum jemand wollte unbedingt in dieser rauhen Einsamkeit leben. Die Settländerstraße führte durch niedrige, strauchige Hügel, die noch weniger Reize zu bieten hatten als die Gegend, in der Ferras aufgewachsen war.
    Sie konnten jetzt die Grenze sehen, nur wenige Meilen weiter nördlich, oder zumindest sahen sie die Nebelfront, die sie markierte. Es war aufreibend, Stunde um Stunde zu reiten und sie so nahe dräuen zu sehen, und es war schwer, sie nicht als ein bösartiges Wesen zu empfinden, das sie beobachtete und nur auf die Gelegenheit lauerte, ihnen etwas anzutun, aber Ferras war es wesentlich lieber zu wissen, wo sie verlief, sehen zu können, daß da noch eine deutliche Markierungslinie zwischen hüben und drüben war.
    Willow war jetzt vom Thema Ziegen zu ihrem Vater und den Schweinen übergegangen und ließ sich gerade darüber aus, wie ihr Erzeuger dazu gestanden hatte, die Schweine ihr Futter selbst suchen zu lassen — »Eichensamen«, wie sie es nannte. Vansen, der die letzten zehn Jahre versucht hatte, alles, was mit Schweine- und Schafzucht zu tun hatte, zu vergessen, beugte sich zu ihr und fragte: »Und was ist mit Collum? Deinem Bruder?«
    Entweder hatte er richtig geraten, oder sie war verrückter, als er gedacht hatte: »Er wollte immer lieber Binsen sammeln als Schweine hüten. Er ist ein Stiller, unser Collum. Erst zehn Winter. Und was der für Träume hat!«
    »Und wo ist er jetzt?« Er versuchte herauszubekommen, ob irgend etwas von dem, was sie sagte, einen Sinn enthielt.
    Ihr Blick wurde traurig, beinah verängstigt, und er bereute schon fast, daß er gefragt hatte. »Mitten in der Nacht ist er gegangen. Der Mond hat ihn gerufen, hat er gesagt. Ich wollte auch gehen — er ist ja noch so klein —, aber unser Vater hat mich gepackt und nicht zur Tür rausgelassen.« Als ob sie das Thema schmerzte, begann sie wieder draufloszuschnattern, jetzt über das Schneiden von Binsen für Binsenlichter, noch so eine Tätigkeit, die Vansen nur zu gut kannte.
    Mich hätte nichts groß zu rufen brauchen, weder der Mond noch sonst irgendwas, um mich dort wegzulocken,
dachte Vansen.
Aber irgendwie glaube ich nicht, daß der Bruder dieses Mädchens in die Stadt gegangen ist, um sein Glück zu machen.
    Am Spätnachmittag, als die Sonne rasch sank, beschloß Vansen, das Lager aufzuschlagen. Den ganzen Tag hatte die Straße durch kaum bewachsene Hügel geführt, aber jetzt lag ein bewaldetes Stück vor ihnen. Das war kein Ort, wo er im hereinbrechenden Dunkel umherwandern wollte.
    »Da!« rief einer der Männer. »Rotwild — ein Hirsch!«
    »Das gibt frisches Fleisch zum Abendessen!« rief ein anderer.
    Ferras Vansen blickte auf und sah das Tier im Schattensaum des Waldrands stehen, nur fünfzig Schritt vor ihnen. Es war groß und kräftig, mit einem beeindruckenden Geweih, wirkte ansonsten aber ganz normal. Trotzdem, irgend etwas an der Art, wie es sie ansah, noch während einige Männer bereits Pfeile anlegten, war ihm unheimlich.
    »Nicht schießen!« sagte er. Einer der Soldaten hob den Bogen und zielte. »Nicht!« Bei Vansens lautem Ruf schien der Hirsch, der sie einfach nur unverwandt angeblickt hatte, erstmals die Gefahr zu spüren. Er warf

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