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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Leben an seinem Hof hätte Euch nicht sonderlich gefallen — vor allem wären wohl die Interessen und Vergnügungen meines Herrn nicht nach Eurem Geschmack gewesen. Aber ich hoffe, daß Ihr eines Tages die Südlande sehen werdet, Prinzessin, und vielleicht sogar Xand ... oder jedenfalls jene Teile, die nicht unter der Herrschaft des Autarchen ersticken. Dort gibt es schöne Dinge, wie Ihr sie Euch gar nicht vorstellen könnt, grünes Meer und hohe Gebirge, so rot wie die Wangen einer errötenden Jungfrau, und Urwälder voller Tiere, die Eure Phantasie sich kaum erdenken könnte. Und die Wüsten — Ihr erinnert Euch gewiß, was ich Euch über diese stillen, majestätischen Wüsten erzählt habe. Ihr werdet vielleicht eines Tages eine große Königin sein, aber Ihr habt wenig von der Welt gesehen, und das scheint mir doch eine Schande.«
    Briony war beleidigt. »Ich war in Settland und Brenland und ... und in Fael.« Sie war erst fünf gewesen, als ihr Vater sie zu einem Besuch bei Merolannas Verwandten mitgenommen hatte — sie erinnerte sich eigentlich nur an ein großes schwarzes Pferd, das der Herrscher von Fael ihrem Vater geschenkt hatte, und daran, daß sie auf einem Balkon über dem Meer gestanden und im Wasser drunten Otter beim Spielen beobachtet hatte.
    Dawet grinste — man konnte es nicht anders nennen. »Verzeiht, wenn ich Settland und Brenland nicht unter Gottes Meisterwerke rechne, Hoheit.« Das Grinsen verschwand rasch. »Und mein Wunsch, daß Ihr mehr von der Welt sehen mögt, ist zum Teil schiere Selbstsucht, weil ich mir wünsche, ich wäre derjenige, der Euch diese Dinge zeigt.« Er hob eine lange braune Hand. »Sagt bitte nichts. Ihr habt gesagt, ich kann offen reden. Und ich will Euch noch mehr sagen.« Seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern. »Ihr seid in Gefahr, Hoheit, und diese Gefahr ist näher, als Ihr glaubt. Ich kann nicht glauben, daß Shaso der Mörder Eures Bruders ist, aber ich kann auch nicht beweisen, daß er es nicht ist. Aber was ich sagen kann, weil ich es weiß, ist, daß jemand, der Euch viel näher ist, Böses im Schilde führt. Mörderisches.« Er sah ihr lange in die Augen; Briony fühlte sich wie in einem bösen Falltraum. »Traut niemandem.«
    »Warum solltet Ihr mir so etwas sagen?« flüsterte sie scharf, als sie die Stimme wiedergefunden hatte. »Warum sollte ich glauben, daß Ihr, der Ihr in Ludis' Diensten steht, nicht nur Zwietracht zwischen mir und denen zu säen sucht, die mein Vertrauen besitzen?«
    Das Lächeln erschien ein letztes Mal, aber jetzt lag noch etwas anderes, Sonderbares darin. »Ach, bei dem Leben, das ich führe, habe ich dieses Mißtrauen mehr als verdient. Aber ich bitte Euch ja nicht, nach meinen Worten zu handeln, Prinzessin Briony, nur darum, sie zu bedenken — sie nicht zu vergessen. Vielleicht kommt ja der Tag, da wir wieder zusammensitzen und Ihr mir sagen könnt, ob ich Euch mit dem, was ich heute gesagt habe, Böses wollte ... oder Gutes.« Er erhob sich und legte seine Lässigkeit wieder um wie einen Mantel. »Wobei ich natürlich hoffe, daß Ihr dann passender gekleidet seid.« Er nahm ostentativ ihre Hand, streifte sie mit den Lippen. Alle im Raum starrten jetzt unverhohlen her. »Ich danke Euch und Eurem Bruder für Eure großzügige Gastfreundschaft, Prinzessin, und ich traure mit Euch um Euren Verlust. Ich werde meinem Herrn in Hierosol Eure Botschaft überbringen.«
    Er verbeugte sich und verließ das Gartenhäuschen.
    »Ich bin es leid, euch beide tuscheln zu sehen«, knurrte Briony ihre Jungfern an. Sie wußte nicht genau, was sie fühlte, aber angenehm war es nicht. »Geht. Ich will eine Weile allein sein. Ich will nachdenken.«

    Bei Tag schien die dunkelhaarige Willow ein wenig zu sich zu finden, obwohl sie in vielerlei Hinsicht so kindlich war, daß Ferras Vansen sich fragte, ob ihre Probleme nur daher rührten, daß sie die Schattengrenze überquert hatte — vielleicht, dachte er, war sie ja vorher schon ein wenig einfältig gewesen. Aber wie auch immer, unter dem bißchen Sonne, das durch die Wolken drang, wurde sie die Fröhlichste des schweigsamen Trupps. Sie saß vor Vansen auf dem Pferd und plapperte von ihrer Familie und ihren Nachbarn wie ein Kind, das mit zum Jahrmarkt durfte.
    »Sie ist so klein, aber sie ist die dickköpfigste von allen. Sie will die anderen Ziegen immer vom Futter wegschubsen — sogar ihre kräftigsten Brüder!«
    Collum Saddler hörte sich ihr Geschnatter mit säuerlicher Miene an.

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