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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Seiten der Straße, ob sich dort jemand versteckt hatte.
    »Ein Trick«, sagte Saddler. »Meint Ihr, das war ein Feind? Ein Spion?«
    »Möglich, aber ...« Vansen hielt unvermittelt an. Sein Pferd scharrte unruhig mit den Hufen. Leichter Abendnebel war jetzt aufgestiegen. »Wir sind zwei Straßenbiegungen zurückgeritten«, sagte er. »Collum, wo ist das Lager?«
    Saddler guckte erschrocken, sah ihn dann tadelnd an. »Ihr wollt uns wohl beiden Angst einjagen, Hauptmann. Noch ein Stückchen weiter — bei diesem Dämmerlicht täuscht man sich leicht, was Entfernungen angeht.«
    Vansen ließ sich darauf ein, aber als sie noch ein Weilchen weitergeritten waren, zügelte Saddler plötzlich sein Pferd und begann zu rufen.
    »Haaallo!
Hallooo!
Wo seid ihr? Ich bin's, Saddler — haaallo!« Keine Antwort.
    »Aber wir sind doch noch auf derselben Straße!« sagte Collum Saddler panisch und wütend. »Es ist doch noch nicht mal ganz dunkel!«
    Ferras Vansen merkte, daß er zitterte, obwohl es kein besonders kalter Abend war. Nebel wand sich träge zwischen Bäumen hindurch. Er machte das Zeichen des Trigon, und ihm wurde bewußt, daß er schon eine ganze Weile lautlos zu den Göttern gebetet hatte. »Nein«, sagte er leise, »aber irgendwie, irgendwo, und ohne daß wir es gemerkt haben ... haben wir die Schattengrenze überquert.«

19

Der Gottkönig
    Tiefes Loch:
Der Klang eines fernen Horns,
Der Salzgeruch eines weinenden Kinds.
Die Luft ist schwer zu atmen.

Das Knochenorakel
    Wie gewöhnlich betrat der Hohepriester den Raum erst, als Qinnitan bereits durch eine ermüdende Serie von Gebeten geleitet worden war und der dampfende Goldkelch vor ihr stand. Der Hohepriester Panhyssir war ebenfalls ein Begünstigter und mindestens so dick und imposant wie Luian, schien aber das Verhalten richtiger Männer so sorgsam studiert zu haben wie Luian das richtiger Frauen. Außerdem hatte er seine Hoden offenbar bis zur Mannesreife behalten — sein Bart war dünn, aber lang, und er hatte eine erstaunlich tiefe Stimme, die er höchst wirkungsvoll einsetzte.
    »Hat sie die täglichen Huldigungen vollzogen?« fragte er. Als der untergebene Priester nickte, verschränkte der Hohepriester die Arme vor der Brust. »Gut. Und die Spiegelgebete — hat sie sie alle gesprochen?«
    Qinnitan schluckte ihren Ärger hinunter. Sie konnte es nicht leiden, wenn man über sie sprach, als wäre sie ein Kind, das nichts verstand, und angesichts der Tatsache, daß die stundenlangen Gebetsrituale in diesem kleinen, mit Spiegeln ausgekleideten Tempelraum immer gleich waren und man ihr noch nie gestattet hatte, auch nur einen der vielen Dutzend komplizierter Sprechgesänge — all jener Anrufungen der verschiedenen Aspekte des Nushash, die in den größten der heiligen Spiegel gesprochen wurden und den Gott in seinen Inkarnationen als das Rote Pferd, das Glühende Morgengestirn, den Bezwinger der Nachtdämonen, den Goldenen Fluß, den Hüter des Schlafs oder den Sternenjongleur und unter vielen weiteren Namen priesen — zu überspringen, fand es Qinnitan doch ein wenig beleidigend, wenn der Priester so redete, als hätte sie in seiner Abwesenheit irgend etwas anderes tun können.
    »Ja, o Bedeutender, o Liebling des Nushash.« Der untergebene Priester, ebenfalls ein Begünstigter, hatte die Stimme und die glatte Haut eines Knaben, obwohl er eindeutig erwachsen war. Und er war eitel; Er betrachtete sich gern in den heiligen Spiegeln, wenn er glaubte, Qinnitan sähe nicht hin. »Sie ist bereit.«
    Qinnitan nahm den Kelch entgegen — ein prächtiges Ding aus Gold und Edelsteinen in der Form des geflügelten Stiers, der Nushashs mächtigen Wagen über den Himmel zog, mehr wert als das gesamte Viertel, in dem sie aufgewachsen war — und tat ihr Bestes, ein feierliches und dankbares Gesicht zu machen. Der Hohepriester Panhyssir war schließlich einer der mächtigsten Männer der Welt, und vermutlich lag ihr Leben in seinen Händen. Trotzdem konnte sie nicht umhin, das Gesicht ein wenig zu verziehen, als sie den ersten Schluck nahm.
    Es war ein Glück, daß der junge Priester seine Anrufungen so laut sprach — da konnte sie langsam trinken und brauchte sich keine Sorgen wegen der Geräusche zu machen, wenn sie das gräßliche Zeug hinunterzwang. Der Trank, das Sonnenblut, wie er genannt wurde, schmeckte tatsächlich ein bißchen wie Blut, salzig und mit einem rauchigen Moschushauch, was einer der Gründe war, weshalb Qinnitan gegen den Würgereiz ankämpfen

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