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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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auf diese Frage zu wissen, obgleich im gesamten Obstgartenpalast viel darüber spekuliert wurde. Ein paar ganz Mutige erklärten flüsternd, es beweise, daß Sulepis entweder der Verrückteste seiner ganzen sprunghaften Sippe sei oder aber, wenn man es schmeichelhafter wenden wolle, den Göttern besonders nah.
    Die hohen Türflügel hatten sich kaum hinter der Sänfte des Scotarchen geschlossen, als sie schon wieder aufschwangen, um Qinnitan, ihre beiden Dienerinnen und ein zusätzliches Paar Begünstigtenwächter einzulassen.
    Das Liegegemach mit seinen schlanken purpurrot-goldenen Säulen war nur wenig kleiner als der Thronsaal, aber es waren viel weniger Leute darin, nur ein Dutzend Soldaten, die zum größten Teil in einer Reihe ganz hinten auf dem Podest standen, und noch zwei Dutzend Diener und Priester. Unter anderen Umständen wäre es ein komisches Gefühl gewesen, sich nach einer so langen Zeit im Frauenpalast so vielen Männerblicken ausgesetzt zu sehen, aber obwohl auch Jeddin dort stand — die Augen gebannt auf sie gerichtet, die Gedanken aber wie hinter einem Vorhang verborgen —, wurde Qinnitans Blick von dem Mann auf der weißen Steinliege angezogen wie von einem Magneten. Es war nicht nur die offenkundige Macht des Autarchen, die Art, wie sich die anderen im Raum so dicht wie möglich um ihn scharten, ihn aber dennoch sichtlich fürchteten, ähnlich frierenden Bauern, die sich um ein riesiges Feuer drängten. Es war nicht einmal so sehr das wilde Glimmen in seinen Augen, diesen erbarmungslosen Beizvogelaugen, deren Kraft sie selbst über ein Dutzend Schritt Entfernung spürte. Diesmal hatte ihre Faszination einen anderen Grund: bis auf den Goldreif in seinem Haar und die goldenen Fingerschützer war der Autarch splitternackt.
    Qinnitan spürte, wie ihre Wangen heiß wurden, als ob der Autarch tatsächlich von irgendeinem Feuer brannte. Sie wußte nicht recht, wo hingucken. Nacktheit als solche brachte sie nicht in Verlegenheit, nicht einmal die eines erwachsenen Mannes — sie hatte ihren Vater und ihre Brüder oft baden sehen, und die Bewohner des Großen Xis trugen auch dann nicht viel am Leib, wenn sie durch die geschäftigen, sonnenglühenden Straßen gingen —, und der goldbraune Körper des Autarchen war zwar lang und dünn, aber mitnichten häßlich. Aber Sulepis' Nacktheit hatte so etwas irritierend Beiläufiges; er wirkte eher wie ein Tier, das gar nicht wußte, daß es nackt war, denn wie ein Mann, der es wußte und genoß. Seine gesamte Haut glänzte von einer dünnen Schweißschicht. Sein Glied lag an seinem Oberschenkel, lang und schlaff wie der Rüssel eines blinden Lebewesens.
    »Ah«, sagte der Autarch in einem gelangweilten Ton, der nicht zum Ausdruck seiner Augen paßte, »da ist sie ja, die junge Zukünftige. Habe ich recht, Panhyssir? Ist sie das?«
    »Ihr habt wie immer recht, o Goldener.« Der Priester trat hinter den Fächersklaven hervor und blieb am Kopfende der Liege stehen.
    »Und ihr Name war ...«
    »Qinnitan, o Goldener — Tochter des Cheshret vom Dritten Tempel.«
    »Was für ein ungewöhnlicher Name, Kind.« Der Autarch hob die Hand und krümmte einen langen goldfunkelnden Finger. »Komm näher.«
    Noch nie in ihrem Leben hatte sie einen so übermächtigen Drang verspürt, kehrtzumachen und wegzurennen, wilde Panik, die sie so plötzlich überfiel, als hätte man sie mit einem Krug kaltem Wasser überschüttet. Einen Moment lang fühlte sie wieder die bodenlose Tiefe, die jäh vor ihr aufgerissen war, nachdem sie das Sonnenblut getrunken hatte: Wenn sie nichts tat, würde sie ins Schwarz stürzen und endlos fallen. Alles an ihr wollte flüchten, obwohl sie gar nicht genau sagen konnte, warum, aber es war sowieso unmöglich, deshalb stand sie nur da und rang um Atem.
    »Tritt vor«, sagte Panhyssir barsch. »Der Goldene hat zu dir gesprochen, Mädchen.«
    Er sah ihr jetzt in die Augen, und sie merkte, wie sie einen kleinen Schritt vorwärts tat, noch einen. Der goldgeschützte Finger krümmte sich noch weiter, und sie trat noch näher an ihn heran, bis sie an dem Ruhebett stand und das lange Gesicht des Autarchen nur wenige Handbreit vor ihrem war. Solche Augen hatte sie noch nie gesehen, das wußte sie jetzt — solch schreckliche, bodenlose Abgründe hätte sie sich überhaupt nie an einem zweibeinigen Wesen vorstellen können. Hinter dem Rosenölduft und den übrigen Wohlgerüchen war da noch etwas Roheres, Beunruhigendes, ein salziger Geruch wie von Blut oder

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