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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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jüngere Priester hielt ihr den Kopf, als sie sich erbrach.
    Eine Stunde später, als die Dienerinnen das Erbrochene aufgewischt und sie gebadet und frisch gekleidet hatten, wurde sie zu Panhyssir zurückgeführt. Der oberste Priester faßte ihr Gesicht mit seiner harten Hand und sah ihr in die Augen, nicht mitfühlend, sondern wie ein Juwelenhändler, der den Schliff eines Steins begutachtet.
    »Gut«, sagte er. »Der Goldene wird erfreut sein. Du machst Fortschritte.«
    Sie versuchte etwas zu sagen, konnte aber nicht sprechen, weil alles an ihr so kraftlos und wund war, als wäre sie geprügelt worden.
    »Autarch Sulepis hat nach dir verlangt, Mädchen. Heute nacht wirst du vorbereitet. Morgen früh wird man dich zu ihm bringen.«
    Damit ließ er sie zurück.

    Die Vorbereitungen waren so anstrengend und dauerten so lange, daß Qinnitan, als sie am Morgen durch die Gänge des Obstgartenpalastes zum Autarchen geführt wurde, erst seit einer Stunde auf war und vor Müdigkeit über ihre eigenen Füße stolperte. Sie litt auch immer noch unter den Nachwirkungen des Trankes, den ihr der Hohepriester am Vortag verabreicht hatte, spürte sie wesentlich stärker denn je. Selbst in diesen schattigen Gängen schien das Licht zu grell, der Hall unerträglich — sie wollte nur wieder in ihr Bett flüchten und sich irgend etwas über den Kopf ziehen.
    An der goldenen Tür zum Liegegemach des Autarchen mußten sie und ihr kleines Gefolge zurücktreten und warten, während die mächtige Sänfte, die sie schon einmal gesehen hatte, mit einigen Schwierigkeiten herausmanövriert wurde. Der verkrüppelte Scotarch Prusus zog mit seinen krampfverkrümmten Fingern einen Vorhang beiseite, um die Prozedur zu verfolgen. Als er Qinnitan sah, drehte er mühsam den Kopf in ihre Richtung und starrte sie mit offenem Mund an, aber sie sagte sich, daß es wohl eher die Schlaffheit seiner Kiefermuskeln war als echtes Erstaunen darüber, daß da eine unbedeutende künftige Nebenfrau auf eine Audienz beim Autarchen wartete. Er musterte sie von oben bis unten, wobei sein Kopf auf dem dünnen Hals zitterte, und wenn das, was in seinem Blick lag, nicht Verachtung oder gar Haß war, dann auf jeden Fall etwas ganz Ähnliches — ein kaltes Taxieren, das seine Zuckungen und sein flaches, keuchendes Atmen noch beunruhigender machten.
    Warum sollte der mächtigste Mann der Welt ein so schwächliches, aberwitziges Geschöpf als seinen Scotarchen erwählen? Die Einsetzung eines Scotarchen war eine alte Tradition des Falkenthrons und sollte gewährleisten, daß auf jeden Fall ein Thronfolger vorhanden war, bis ein leiblicher Sohn des Autarchen alt genug war, um die Macht zu übernehmen; so sollten die selbstzerstörerischen Erbfolgekriege vermieden werden, die oft ausbrachen, wenn ein Herrscher starb, ohne daß ein Nachfolger bereitstand. Aber der älteste und schwerwiegendste Teil dieser Tradition war ein anderer: Wenn der Scotarch starb, bedeutete das, daß der Autarch nicht mehr die Gunst des Himmels besaß und deshalb ebenfalls den Thron räumen mußte. Das sollte dazu dienen, verräterische Machenschaften von Söhnen und Verwandten ohne unmittelbare Thronanwartschaft zu verhindern, und wegen dieser alten xixischen Gesetze, denen selbst die Gottkönige unterlagen, wurden Scotarchen nicht so sehr danach ausgewählt, ob sie wirklich zum Herrscher taugten, sondern vor allem ihrer Gesundheit und mutmaßlichen Zählebigkeit wegen — was zählte, waren wie bei Rennpferden der Glanz der Augen und ein starkes Herz. Bis vor wenigen Generationen waren sie immer durch zeremonielle Wettkämpfe ermittelt worden, bei denen oft bis auf den Sieger alle ums Leben kamen. Das hatte man deshalb für die geeignete Methode gehalten, weil der Weg zum Falkenthron ein ganz ähnlicher war, nur daß die Rivalen ihr Leben im allgemeinen nicht so öffentlich verloren.
    Als sich die zitternde Gestalt des Prusus wieder in die weichgepolsterten Tiefen der Sänfte zurückzog, nachdem sie die Träger mit einem gestammelten Zuruf zur Eile angetrieben hatte, konnte sich Qinnitan nur verwundert fragen, wie irgend jemand, und erst recht jemand wie Sulepis, der überhaupt noch keinen männlichen Nachkommen hatte, geschweige denn einen regierungsfähigen, ein so jämmerliches Geschöpf wie Prusus zu seinem Scotarchen ernennen konnte — einen Krüppel, der bereits mit einem Fuß im Grab zu stehen schien. Natürlich war Qinnitan da nicht die einzige:
Niemand
im Frauenpalast schien die Antwort

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