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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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ist unser Haus. Wenn er nun eine Giftschlange hier hereingeschleppt hätte — einen Feuerwurm oder so was? Dürfte er die dann auch behalten?«
    »Das ist doch Blödsinn ...«
    »Na ja, es ist doch mindestens genauso blödsinnig, in einer Zeit, da ringsherum Gefahr lauert, da die Zwielichtler vielleicht morgen schon aus den alten Geschichten herausmarschiert kommen und an unsere Tür klopfen, einfach so zu tun, als ob das ganz normale Zeiten und ganz normale Umstände wären. Wir haben ihn gefunden, Opalia, wir haben ihn nicht selbst in die Welt gesetzt. Wir wissen nichts darüber, wer er ist — oder auch nur,
was
er ist —, außer, daß er von jenseits der Schattengrenze kommt. Du hast nicht gesehen, wie ihn die Dachlinge behandelt haben — wie einen alten Freund, einen hochgeschätzten Verbündeten ...«
    »Er hat einem von ihnen geholfen. Das hast du doch selbst gesagt!«
    »Und er trägt etwas um den Hals, das wir uns nicht angeguckt haben, obwohl es uns vielleicht etwas über seine Vergangenheit verraten könnte.«
    »Das weißt du doch gar nicht.«
    »Nein, und du weißt nicht, daß es das nicht kann. Warum sträubst du dich so, Opalia? Hast du solche Angst, wir könnten ihn verlieren?«
    Sie hatte Tränen in den Augen — er brauchte kein Licht, um das zu wissen: Er hörte es an ihrer Stimme. »Ja! Ja, ich habe Angst, wir könnten ihn verlieren. Vor allem deshalb, weil dir das ganz egal wäre!«
    »Was?«
    »Du hast mich wohl verstanden. Du behandelst ihn gut, weil du ein guter Kerl bist, aber du ... du ... du liebst ihn nicht.« Sie mußte jetzt darum kämpfen, weiterreden zu können. »Nicht so wie ich.«
    Einen Moment lang vermengten sich in ihm Ärger und Verblüffung. Sie drehte sich weg. Ihr Schluchzen erschütterte die Matratze und klang so herzzerreißend, daß alles andere in den Hintergrund trat. Da lag seine Opalia und weinte sich vor Angst die Seele aus dem Leib. Er nahm sie in die Arme.
    »Es tut mir leid, mein alter Schatz. Es tut mir ja so leid.« Er hörte sich das sagen und bereute es, noch ehe die Worte draußen waren. »Hab keine Angst, ich ... ich lasse nicht zu, daß ihn dir irgend jemand wegnimmt.«
    »Gibt es denn keine andere Möglichkeit?« fragte sie. Sie hatten eine ihrer kleinsten Lampen angezündet; Opalias Gesicht war rot und verquollen. »Es erscheint mir so schlimm — so unrecht.«
    »Wir sind jetzt Eltern«, sagte Chert. »Da müssen wir uns wohl dran gewöhnen, manchmal Dinge zu tun, die sich schlimm anfühlen. Ich nehme an, das ist der Stollenzoll dafür, ein Kind zu haben.«
    »Das ist wieder mal typisch du«, flüsterte sie, nur halb ärgerlich. »Kaum daß du irgendwas anfängst, denkst du gleich, daß du alles drüber weißt. Genau wie mit diesen Rennmaulwürfen.«
    Der schlafende Junge, der wie immer die Decke von sich gestrampelt hatte, lag auf dem Bauch, das Gesicht zur Seite gedreht, wie ein Schwimmer, der Luft holt, das Haar so weiß wie Rauhreif. Chert betrachtete ihn mit einer Mischung aus Zärtlichkeit und Angst. Er wußte, er hatte soeben eine Art Vertrag geschlossen: daß er sich als Gegenleistung dafür, einen Blick auf den Inhalt des Säckchens werfen zu dürfen, in allem, was sich daraus ergab, Opalias Urteil beugen würde. Und er wußte in der Tiefe seines Herzens, sie würde, wenn sie nicht gerade Beweise dafür fanden, daß das Kind einen Mord begangen hatte — und nicht nur irgendeinen weit zurückliegenden Mord, sondern einen frischen und besonders schlimmen —, keinen Grund sehen, den Jungen fortzuschicken.
    Wie ist das nur so schnell passiert?
fragte sich Chert.
Sind alle Frauen so? Bereit, ein Kind — irgendein Kind — zu lieben, so wie eine Hand zum Greifen bereit ist oder ein Auge zum Sehen? Warum geht es mir nicht genauso?
Denn obwohl er wußte, daß er den Jungen wirklich gern hatte, war da in ihm nicht dieser wilde Drang, ihn um jeden Preis behalten zu wollen, diese fast schon bodenlose Bedürftigkeit.
Brennt sie zu heiß? Oder ist mein Herz zu kalt?
    Und doch, als er da stand und beobachtete, wie sich der Junge leise maunzend im Schlaf bewegte, als er diesen zarten, verletzlichen Nacken sah, den offenen Mund, da hoffte er plötzlich selbst, daß sie nichts Schlimmes finden würden.
    Jemand benutzt dieses Kind.
Chert war sich dessen plötzlich ganz sicher, wußte aber nicht, wie er darauf kam und was es zu bedeuten hatte.
Ob gut oder böse — da steckt ein anderer Wille dahinter. Aber was ist der Junge? Eine Waffe? Ein Bote? Ein

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