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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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und flehte um Vergebung — erinnerte das leuchtende Wesen daran, daß er nichts weiter wollte, als ihm getreulich dienen, doch in einem Stückchen seines innersten Selbst, das ihm noch geblieben war, ermöglichte es ihm dieser Mißklang, klarer zu denken. War das wirklich sein einziger Wunsch — diesem Etwas, diesem Wesen, dieser Macht zu dienen? Als er es das erste Mal kontaktiert hatte oder es ihn — waren sie da nicht fast wie Gleichrangige gewesen, die Informationen austauschten?
    Aber was wollte es von mir erfahren? Was könnte ich diesem ... dieser Macht gegeben haben?
Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, so wenig, wie er sich erinnern konnte, wie der Spiegel, das Portal zu dieser schmerzlichen Glückseligkeit, in seinen Besitz gelangt war.
    Die strahlende Präsenz gab ihm klar zu verstehen, daß sie ihm die ungebührliche Fragerei verzeihen würde, er aber dafür eine Aufgabe erfüllen müsse. Es sei eine wichtige Aufgabe, schien das Wesen zu sagen, vielleicht sogar eine heilige.
    Einen Moment, einen winzigen Moment nur, zögerte er: Ein kleines Stück von ihm war zurückgeblieben, als ob der Spiegel ein feines Sieb wäre und nicht alles, was Chaven gewesen war, hindurchgelangen konnte in dieses singende Feuer. Der winzige Rest stand da und sah zu, hilflos wie in einem Albtraum, nicht stark genug, um irgend etwas zu ändern.
    Was muß ich tun?
fragte er.
    Die Präsenz erklärte es ihm oder besser, gab ihm das Wissen ein, und so wie sie ihn vorher getadelt hatte, lobte sie ihn jetzt; diese Freundlichkeit war wie Honig und silberklare Musik und das unendliche, überwältigende Licht des Himmels.
    Du bist mein braver und getreuer Diener,
erklärte sie ihm.
Und am Ende wirst du deine Belohnung bekommen — das, wonach du wirklich strebst.
    Das weiße Licht begann zu verblassen, sich zurückzuziehen wie eine Welle, die sich über den Strand ergossen hatte und jetzt wieder abfloß, zurück ins Meer. Gleich darauf war er allein in einer verborgenen Kammer, die nur die flackernde Flamme einer schwarzen Kerze erhellte.
     
    Auf das laute Bummern an der Küchentür hin erschien Frau Jennikin in Nachthemd und Schlafmütze. Sie hielt die Kerze vor sich wie einen zauberkräftigen Talisman. Das graue Haar, altersdünn und für die Nacht gelöst, hing ihr fransig über die Schultern.
    »Ich bin's nur. Tut mir leid, daß ich Euch um die Zeit störe, aber es muß sein.«
    »Doktor ...? Was ist denn? Ist jemand krank?« Ihre Augen weiteten sich. »Oh, Zoria behüte uns, hat es wieder einen Mord gegeben?«
    »Nein, nein. Seid unbesorgt. Ich muß eine Reise machen, das ist alles. Und ich muß sofort aufbrechen, noch vor Tagesanbruch.«
    Sie hielt die Kerze näher an sein Gesicht, als ob sie es nach Anzeichen von Wahnsinn oder Fieber absuchte. »Aber, Doktor, es ist ...«
    »Mitten in der Nacht, ja. Genauer gesagt, es ist zwei Stunden vor Morgengrauen, nach meiner Kettenuhr. Ich weiß das so gut wie jeder andere und besser als die meisten Leute. Und ich weiß ja wohl auch mindestens so gut wie jeder andere, was ich zu tun habe, meint Ihr nicht?«
    »Doch, natürlich, Herr. Aber was wollt Ihr ... ich meine ...«
    »Packt mir Brot ein und ein bißchen Fleisch, damit ich essen kann, ohne haltzumachen. Und weckt vorher noch Henrik, sagt ihm, er soll mein Pferd für eine Reise fertig machen. Paßt auf, daß Ihr sonst niemanden weckt. Ich will nicht, daß mich das ganze Haus losreiten sieht.«
    »Aber ... wo wollt Ihr denn hin, Herr?«
    »Das braucht Ihr nicht zu wissen, gute Frau. Ich werde jetzt das Nötigste packen. Und ich werde einen Brief schreiben, den Ihr Vogt Nynor bringen werdet. Ich hoffe, daß ich nur einen Tag, höchstens zwei unterwegs sein werde, aber es könnte auch länger dauern. Für den Fall, daß jemand von der königlichen Familie ärztliche Dienste benötigt, werde ich Nynor erklären, wie Bruder Okros an der Akademie zu finden ist — wenn sonst jemand zu mir will und nicht warten kann, dann schickt ihn ebenfalls zu Okros.« Er rieb sich nachdenklich die Stirn. »Und ich brauche meinen dicken Reisemantel — es wird feucht sein und vielleicht sogar schneien.«
    »Aber ... aber, Doktor, was ist mit der Königin und ihrem Kind?«
    »Verflucht, Weib«, schrie er, »meint Ihr, ich verstehe nichts von meinem Beruf?« Sie duckte sich ängstlich in den Türrahmen, und es tat ihm sofort leid. »Entschuldigt, gute Frau, aber ich habe das alles bereits bedacht und werde alles Nötige in dem Brief an Nynor

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