Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
der Schürze ab und sah sich dann um, als wollte sie sich vergewissern, daß niemand sie beobachtete. »Ich dürfte es Euch nicht sagen, aber mein Herr ist nicht da. Er mußte plötzlich verreisen. Ist heute morgen aufgebrochen, noch vor Tagesanbruch.«
    Ein jäher Verdacht, der sich nur auf das zeitliche Zusammentreffen gründete, ließ ihn fragen: »Allein? Ist er allein aufgebrochen?«
    Sie sah ihn verdutzt an, aber während sie antwortete, wurde ihr Blick immer ärgerlicher. »Ja, natürlich allein. Wir haben ihn selbst hinausbegleitet. Ihr glaubt doch wohl nicht ...«
    »Nein, gute Frau, jedenfalls unterstelle ich ihm nichts Böses. Aber der Junge hat Euren Herrn gekannt, und ich glaube, er mag ihn. Es hätte ja sein können, daß er ihm einfach nachgelaufen ist, wie es Jungen manchmal tun.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Da war niemand. Mein Herr ist schon eine Stunde vor Sonnenaufgang aufgebrochen, aber ich hatte eine Laterne dabei und hätte es bestimmt gesehen. Und er hatte es auch schrecklich eilig, der Doktor, obwohl ich niemandem etwas von seiner Reise sagen soll. Ist nicht gegen Euch gerichtet.«
    »Schon gut.« Aber sein Herz war jetzt noch schwerer. Er hatte zumindest darauf gehofft, daß Chavens scharfer Verstand auf irgend etwas käme, was ihm noch nicht eingefallen war. »Ihr habt sicher eine Menge zu tun, gute Frau. Ich werde jetzt gehen. Wenn er zurückkommt, sagt Ihr ihm bitte, Chert aus der Funderlingsstadt möchte ihn dringend sprechen?«
    »Das mache ich.« Sie sah jetzt aus, als wünschte sie, sie könnte noch mehr tun. »Mögen die Götter Euch beistehen — ich hoffe, Ihr findet Euren Kleinen bald. Ich bin sicher, Ihr werdet ihn finden.«
    »Danke. Das ist sehr nett von Euch.«
     
    Vor Müdigkeit wäre er an der Mauer zweimal beinah abgerutscht. Oben angekommen, mußte er sich erst einmal hinsetzen und verschnaufen, ehe er wieder sprechen konnte. »Haallo! Ich bin's, Chert aus der Funderlingsstadt!« Er traute sich nicht, richtig laut zu rufen, aus Angst, daß ihn drunten am Boden jemand bemerken könnte. Es war jetzt mittlerer Vormittag, und selbst dieser abgelegene Teil der Festung nahe am Friedhof war nicht gänzlich menschenleer. »Ihre Majestät, Königin Altania, war so gütig, mich und meinen Jungen, Flint, zu empfangen«, rief er. »Erinnert Ihr Euch noch an mich? Haallo!«
    Keine Antwort, nicht die leiseste Bewegung, obwohl er immer wieder rief. Schließlich gab er es auf. So müde, daß er sich ernsthafte Sorgen wegen des Abstiegs machte, hievte er sich in die Hocke empor. Er zog das kleine Moleskinbündel aus der Tasche, öffnete es, nahm den Kristall und hielt ihn hoch, bis sich die Vormittagssonne darin brach und er wie ein winziger Stern funkelte. »Das ist ein Geschenk für die Königin. Es ist ein Edri-Ei — ein sehr schöner Stein, der beste, den ich habe. Ich suche den Jungen Flint, und ich bitte Euch um Hilfe. Wenn Ihr mich hört und bereit seid, Euch mit mir zu treffen — ich bin morgen um dieselbe Zeit wieder hier.« Er suchte nach einer passenden Abschiedsformel, aber ihm fiel keine ein. Er machte aus dem Moleskin ein Nest und legte den Kristall hinein.
Was für ein wunderschönes Monster aus so einem Ding schlüpfen könnte,
 dachte er zerstreut, aber die Vorstellung erheiterte ihn nicht im geringsten.
    Er arbeitete sich mühsam die Mauer hinunter, so schwer von Verzweiflung, daß es ihn fast schon erstaunte, nicht im Boden zu versinken, als er endlich unten ankam.

    Es war nur ein Tag wie viele andere, aber als Briony am frühen Morgen aufwachte und die Glocke der Erivorkapelle läuten hörte, während der Mantis und seine Hilfspriester mit der Morgenandacht begannen, war ihr fast so düster und beklommen zumute, als sollte an diesem Tag eine Hinrichtung stattfinden.
    Rose und Moina und ihre Dienerinnen kamen so übertrieben vorsichtig hereingeschlichen, als wäre die Prinzregentin ein Bär, den sie um keinen Preis aufwecken wollten, schafften es aber dennoch, soviel Lärm zu machen wie eine Fünfzigschaft Soldaten auf dem Marktplatz. Briony stöhnte, setzte sich auf und winkte sie dann heran, damit sie ihr das Nachtgewand auszogen.
    »Wollt Ihr heute das blaue Kleid anziehen?« fragte Moina mit einem winzigen Hauch von Flehen in der Stimme.
    »Das braune«, schlug Rose vor. »Mit den geschlitzten Armein. Darin seht Ihr so prächtig aus ...«
    »Das gleiche wie gestern«, sagte sie. »Nur sauber. Eine Tunika — die mit der Goldborte. Einen Reitrock. Hosen.«
    Die

Weitere Kostenlose Bücher