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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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diesen Ort haßte, und außerdem, wie hätte Chert ihn verpassen sollen?
    Die Dachlinge — die kleinen Leutchen. Vielleicht hatte der Junge sie ja besucht und war entweder absichtlich dortgeblieben oder aber nicht mehr rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit zurückgekommen. Plötzlich hatte Chert die Schreckensvision, daß der Junge von irgendeinem Dach gefallen war und jetzt hilflos in einem dunklen, einsamen Innenhof lag. Ihm wurde ganz schlecht, und er legte den Prachtwurz weg.
    Aber wo konnte er sonst sein?
    »Chert!« rief Opalia aus dem Schlafzimmer herüber. »Chert, komm her!«
    Wenn sie doch nur nicht so ängstlich geklungen hätte. Plötzlich mochte er gar nicht durch die Tür gehen und sehen, was sie gefunden hatte. Aber er ging trotzdem.
    Opalia hatte nichts gefunden — im Gegenteil. »Es ist weg!« sagte sie und zeigte auf Flints Strohsack, wo die Decke und das Hemd als verdrehte Würste dalagen wie ermattete Gespenster. »Sein Säckchen. Mit dem ... dem kleinen Spiegel drin. Es ist weg.« Opalia sah ihn mit angstgeweiteten Augen an. »Er hängt es sich nie mehr um, trägt es nie mehr. Es liegt sonst immer hier! Warum ist es jetzt nicht da?« Ihr Gesicht erschlaffte, als wäre sie von einem Moment auf den anderen um fünf Jahre gealtert. »Er ist weggegangen, stimmt's? Er ist ganz weggegangen, deshalb hat er's mitgenommen.«
    Chert fiel nichts ein, was er sagen konnte — jedenfalls nichts, was sie beide irgendwie hätte ermutigen können.

    »Bei den Göttern, Toby, döst du schon wieder? Du bist an das Fernrohr gestoßen!«
    Der junge Mann stand rasch auf und hob die Hände, um zu signalisieren, daß er nie etwas Derartiges getan hätte. Seine gekränkte Miene besagte, daß er immer wach und gerade um Mitternacht in Höchstform war und daß es grundlos grausam von Chaven war, ihm etwas anderes zu unterstellen. »Aber, Herr ...!«
    »Egal. Ich erwarte, daß du dich wie ein Wissenschaftler verhältst, aber das ist wohl zuviel verlangt.«
    »Aber ich will ja einer werden! Ich höre ja zu! Ich mache doch alles, was Ihr sagt!«
    Der Arzt seufzte. Der Bursche konnte nichts dafür. Chaven hatte zu sehr auf die Empfehlung seines Freundes Euan Finnister vertraut, des gelehrtesten Mannes von ganz Wildeklyff, der aber vielleicht doch nicht so ein guter Menschenkenner war. Der Bursche arbeitete fleißig ... für sein Alter ... aber er war schon im besten Fall unkonzentriert und überempfindlich. Und, was noch schlimmer war, er schien, obwohl er beileibe nicht dumm war, einfach kein Forschergeist.
    Es ist, als wollte man meine schöne Kloe dazu bringen, Freundschaften mit Mäusen und Ratten zu pflegen.
    Aber der junge Mann stand da und sah ihn an, das Gesicht eine Maske grimmiger Aufmerksamkeit, also versuchte es Chaven noch einmal. »Verstehst du, das Fernrohr darf sich nicht mehr bewegen, wenn wir erst einmal die Stelle gefunden haben, die wir betrachten wollen. Leotrodos drunten in Perikal sagt, der neue Stern steht im Sternbild Kossope. Sobald wir also unser Fernrohr auf Kossope ausgerichtet haben, müssen wir es arretieren, damit es sich nicht mehr bewegen kann — so können wir Messungen durchführen, nicht nur heute nacht, sondern auch in anderen Nächten. Und auf gar keinen Fall darf man sich an das Fernrohr lehnen, während man die Messungen vornimmt.«
    »Aber der Himmel ist doch voller Sterne«, sagte Toby. »Warum ist es denn so wichtig, gerade diesen zu vermessen?«
    Chaven schloß kurz die Augen. »Weil Leotrodos sagt, daß er einen
neuen
Stern entdeckt hat. Einen neuen Stern hat seit Jahrhunderten niemand mehr entdeckt — ja, vielleicht sogar seit Jahrtausenden, da die Methoden der Alten zum Teil obskur und daher fragwürdig sind. Und, was noch wichtiger ist, weil dieser Stern viele Zweifel aufwirft, was die Gestalt des Himmels angeht.« Das ratlose Gesicht des Burschen sagte alles. »Wenn der Himmel nämlich von fixer Gestalt ist, wie es die Astrologen des Trigonats so laut verkünden, und da aber plötzlich ein neuer Stern am Himmel auftaucht,
wo kommt er dann her?«
    »Aber, Herr, das ist doch unlogisch«, sagte Toby gähnend, doch jetzt immerhin etwas wacher. »Wenn die Götter die Sphären erschaffen haben, können sie dann nicht auch einen neuen Stern erschaffen?«
    Chaven mußte lächeln. »Schon besser. Das ist eine billige Frage, aber die wichtigere Frage ist, warum haben sie es nicht schon früher getan?«
    Einen Moment lang, einen winzigen Moment nur, sah er so etwas wie einen Funken

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