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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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»So ungewöhnlich ist das doch nicht.«
    »Aber ohne uns zu sagen, wo wir ihn finden? Und jetzt, da die Königin so kurz vor der Niederkunft steht? Jedenfalls erschien mir der Brief ziemlich sonderbar.« Nynors Augen waren wäßrig und rotgerändert, so daß er selbst bei fröhlichen Anlässen aussah, als hätte er gerade geweint, aber er hatte einen scharfen Verstand, und in den langen Jahren, die er jetzt im Dienst des Hauses Eddon stand, hatte er bewiesen, daß es sich lohnte, auf ihn zu hören.
    »Es steht nichts unmittelbar Beunruhigendes darin? Dann gebt ihn mir, ich sehe ihn mir später genauer an.« Sie nahm das gefaltete Pergament entgegen und steckte es in das Hirschledertäschchen, in dem sie ihre Siegel, ihren Siegelring und anderen wichtigen Krimskrams aufbewahrte. »Gibt es sonst noch etwas?«
    »Ich brauche Eure Erlaubnis, Bruder Okros zu rufen.«
    »Erteilt.«
    »Und dieser Poet ...?«
    »Kittelflick? Kettel ...?«
    »Kettelsmit. Ist es wahr, daß Ihr ihn in den Haushalt aufzunehmen wünscht?«
    »Ja, aber in bescheidenem Rahmen. Gebt ihm etwas Kleidergeld, und natürlich muß er ernährt werden ...«
    Ein Raunen ging durch die Menge, ein Auseinanderweichen, als ob irgendein Tier, harmlos, aber womöglich nicht allzu sauber, im Raum losgelassen worden wäre. Etwas zwängte sich nach vorne durch. Dann brach Matty Kettelsmit durch die vorderste Reihe der Höflinge und warf sich auf die Steinfliesen vor dem Thronpodest. »Oh, edle Prinzessin, Ihr habt Euer Versprechen nicht vergessen! Eure Güte ist noch größer, als es überall im Lande heißt, und dabei ist sie doch schon so sprichwörtlich wie die Wärme der Sonne oder die Nässe des Regens.«
    »O nein, Perins Hammer erschlage uns alle«, grummelte Avin Brone, der schon den ganzen Tag neben dem Thron lauerte wie ein abgerichteter Bär und jeden anknurrte, der in seinen Augen die kostbare Zeit der Krone vergeudete.
    Der Poet
war
amüsant, aber jetzt gerade war Briony einfach nicht in der Stimmung. »Ja, nun gut, geht mit Vogt Nynor, er wird Euch mit dem Nötigen versehen, Kettelsmit.«
    »Wollt Ihr denn nicht meinen jüngsten Vers hören? Inspiriert von ebendiesen Stunden in ebendiesem Raum?«
    Sie wollte sagen, nein, sie wolle ihn nicht hören, aber Kettelsmit war niemand, der lange genug wartete, um sich eine Abfuhr zu holen — ein Trick, den er, seinen Versen nach zu urteilen, frühzeitig hatte lernen müssen.
    »Mag auch in mannhaft Schwarz sie ganz gekleidet sein, wie hinter Oktamenes zorn'gen Schwaden der Sommerhimmel sich versteckt, so bergen doch die Wolken Schnee so zart und rein, der diese Lande bald mit süßem Frieden deckt ...«
    Sie konnte nicht umhin, sich innerlich dem Stöhnen des Konnetabels anzuschließen, wünschte aber, Brone wäre etwas diskreter — der junge Mann tat sein Bestes, und es war ihre Idee gewesen, ihn zu unterstützen: Sie wollte nicht, daß er gedemütigt wurde. »Ja, sehr hübsch«, sagte sie. »Aber im Moment bin ich mitten in Staatsgeschäften. Vielleicht könntet Ihr es aufschreiben und mir schicken, damit ich es ... in Ruhe würdigen kann.«
    »Hoheit sind zu gütig.« Jetzt, da er sich als einer der ihren etabliert hatte — oder es zumindest glaubte —, lächelte Kettelsmit den anderen Höflingen zu, erhob sich, machte einen Kratzfuß und verschwand rückwärts in der Menge. Ein paar Leute kicherten.
    »Hoheit sind allerdings zu gütig«, sagte Brone leise.
    Steffans Nynor stand immer noch da; er wirkte ein wenig nervös. »Ja, Vogt?« fragte Briony.
    »Darf ich näher kommen, Prinzessin?«
    Sie winkte ihn heran. Brone schob sich ebenfalls etwas näher heran, als ob der magere alte Nynor womöglich irgendeine Gefahr darstellte — aber vielleicht wollte er ja nur besser mithören können.
    »Da ist noch etwas«, sagte der Vogt leise. »Was sollen wir mit den Tollys machen?«
    »Mit den Tollys?«
    »Habt Ihr's denn noch nicht gehört? Sie sind vor zwei Stunden angekommen — es beschämt mich, daß ich Euch nicht informiert habe, aber ich bin fest davon ausgegangen, daß jemand es tun würde.« Er bedachte Brone mit einem tadelnden Blick. Die beiden waren politische Rivalen und nicht gerade Freunde. »Eine Delegation aus Gronefeld ist hier, angeführt von Hendon Tolly. Der junge Mann scheint sehr mitgenommen — er sprach in aller Öffentlichkeit vom Verschwinden seines Bruders Gailon.«
    »Barmherzige Zoria«, sagte sie gequält. »Das sind ja schlechte Nachrichten. Hendon Tolly? Hier?«
    »Der mittlere

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