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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Wandfackel, aber als Chert sich ihm näherte, sah er auch die helle Spiegelung seiner Korallenlampe wie ein Glühwürmchen über den Wasservorhang tanzen.
    »Wer steigt denn so weit hier herab, um Fackeln zu entzünden?« fragte Giebelgaup und schnupperte zerstreut um sich.
    »Das werdet Ihr gleich sehen.« Chert betrat einen kleinen Damm aus Steinen, der von der Seite direkt auf das herabstürzende Wasser zu führte.
    »Ihr werdet uns ersäufen!« piepste Giebelgaup erschrocken.
    »Keine Angst. Da ist ein Zwischenraum zwischen Wasser und Fels und — da, schaut!« Da war nicht nur besagter Zwischenraum, sondern auch ein Loch in der Felswand, ein Loch, das aus den meisten Blickwinkeln durch den Wasservorhang verdeckt war. Chert trat hindurch, wobei er sich sorgsamer als sonst bemühte, den Rand des Wasserfalls zu umgehen, damit Giebelgaup nicht versehentlich von seiner Schulter gespült wurde. Jenseits des Wassers gelangten sie in eine Höhlenkammer, so groß wie ein ganzes Wohnviertel der Funderlingsstadt. An den Wänden steckten brennende Fackeln, und die Decke überzogen die gleichen seltsamen Steingebilde, die auch den Erdformengarten füllten. Am anderen Ende der riesigen Höhlenkammer erhob sich eine Säulenfront: der unmittelbar in den gewachsenen Fels gehauene Tempel der Alten der Metamorphose.
    »Beim Höchsten Punkt!« sagte der kleine Mann staunend. »Das geht ja immer weiter und weiter! Habt Ihr Funderlingsleute Euch durch den ganzen Fels gegraben und unten wieder hinaus?«
    »Nicht ganz«, erklärte Chert und betrachtete dabei die kunstvolle Steinfassade — nur einige wenige Unregelmäßigkeiten verrieten, daß das hier einst eine Naturhöhle gewesen war. »Aber wir fanden viele Stätten in den Tiefen der Erde, die das Wasser geschaffen hatte, und bearbeiteten sie noch weiter, um sie zu unseren eigenen zu machen.«
    Giebelgaup verzog das Gesicht und schnüffelte. »Doch erstmals hab ich keine starke Wittrung von dem Jungen. Die Spur verliert sich hinter dieser Wasserwand.«
    Chert seufzte. »Ich werde die Tempelbrüder trotzdem fragen«, sagte er. »Aber ich fürchte, Ihr müßt hier warten.«
    »Kommt Ihr mich wieder holen?«
    »Ich bleibe in Sichtweite. Setzt Euch einfach hier auf den Stein.« Er plazierte Giebelgaup auf einem einigermaßen waagrechten Wandvorsprung, hoch über dem Höhlenboden. Er war froh, daß er nicht weit weggehen mußte. Er empfand dem kleinen Mann gegenüber ein unerwartetes Verantwortungsgefühl. Er dachte an die Angst des Winzlings vor Katzen und an seine eigene spöttische Reaktion, und wieder schämte er sich.
Es stimmt ja, daß es hier unten nicht viele Katzen gibt,
dachte er,
aber ich glaube, ich vergaß, ihm zu sagen, daß viele Leute Schlangen halten, gegen die Ratten und Erdmäuse und sonstiges Ungeziefer. Ich bezweifle, daß Giebelgaup Schlangen lieber mag als Katzen.
    Er eilte durch die riesige Tempelhöhle. Hierher pilgerten die Bewohner der Funderlingsstadt, hier versammelten sie sich in den Nächten, in denen die Mysterien gefeiert wurden, und zu anderen wichtigen Festtagszeremonien. Chert war erleichtert, als er einen dunkelgewandeten Tempelbruder gleich am Eingang zum eigentlichen Tempel stehen sah. So konnte er sein Wort halten und in Giebelgaups Blickfeld bleiben. »Verzeihung, Bruder.«
    Der Tempelbruder trat in den Fackelschein heraus. Die Brüder vom Metamorphosetempel benutzten keine Steinlampen, das fanden sie gefährlich modern, obwohl die sanft glühenden Lampen in den Straßen der Funderlingsstadt schon mindestens zweihundert Jahre in Gebrauch waren. »Was suchst du, Kind der Erdalten?« fragte er. Er trug die weite Kleidung des Tempelordens und war jünger, als Chert erwartet hatte. Dem Aussehen nach konnte er aus einer der Wismutfamilien kommen.
    »Ich bin Chert Blauquarz. Mein Ziehsohn ist verschwunden.« Er holte Luft. Jetzt kam der heikle Teil. »Er ist ein Großwüchsiger. Ist er hier vorbeigekommen?«
    Der Tempelbruder zog eine Augenbraue hoch, beschränkte sich aber auf ein Kopfschütteln. »Aber wartet noch. Einer der Brüder kam vorhin vom Markt zurück und sagte, er habe hier irgendwo ein Kind der
Gha'jaz
gesehen.« Es erstaunte Chert nicht, daß der Mann das alte Funderlingswort verwendete — er hatte die Gemeinsame Sprache der Großwüchsigen und der Funderlinge nur holprig gesprochen, als ob er sie nicht oft benutzte. Der Tempel hatte noch nie viel von Neuerungen gehalten. »Ich werde ihn hierherbringen.«
    Chert wartete ungeduldig. Als

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