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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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man es schmiedete, da regte sich, Schnarchen hin oder her, ein leises Verlangen in ihr. Sie schmiegte sich an ihn, preßte die Wange an seinen Rücken. Sein Schnarchen veränderte sich, hatte jetzt fast schon etwas Fragendes, ging dann aber wieder so weiter wie vorher. Ihre Tochter Agnes regte sich in ihrem Bettchen. Zum Entsetzen ihrer Mutter waren beide Kinder an dem Fieber erkrankt, das vor kurzem in Milnersford und in ganz Dalerstroy umgegangen war, aber obwohl es die kleine Agnes schlimmer erwischt hatte, klang ihr Atem schon seit einer Woche fast wieder normal. Zoria, die Gnadenkönigin, hatte Finias Gebete offenbar erhört.
    Sie glitt gerade in den Schlaf hinüber, dachte noch, daß das feuchte Stroh auf dem Fußboden durch trockenes ersetzt werden mußte, jetzt, wo das nasse Wetter da war, und daß sie Onsin dazu bringen mußte, die Ritzen um das Fenster ihres kleinen Häuschens zu verschmieren, als sie die ersten schwachen Geräusche hörte — Rufe. Als sie merkte, daß es nicht der Nachtwächter war, der die Stunde ausrief, war sie schlagartig wieder wach.
    Zuerst dachte sie, daß es irgendwo brannte. In einer Stadt war das anderes als in dem Dorf, wo Finia aufgewachsen war. Hier konnte ein Feuer so weit entfernt ausbrechen, daß man die Leute, deren Häuser es zuerst verschlang, noch gar nie gesehen hatte, und dann doch plötzlich die eigene Straße entlanggebraust kommen wie ein Heer wütender Dämonen, weil es so schrecklich schnell von Dach zu Dach sprang. War es ein Feuer? Irgendwo läutete eine Glocke, immerfort, und jetzt schrien noch mehr Stimmen. Jemand lief durch die Straße und rief nach den Ordnungshütern. Es mußte ein Feuer sein.
    Sie war schon dabei, Onsin wachzurütteln, als sie eine Stimme hörte, die lauter war als die anderen, vielleicht sogar vom Ende ihrer eigenen Straße kam. Die Stimme schrie:
»Ein Angriffl Sie klettern die Mauern hoch!«
Finia stockte das Herz. Angriff? Die Mauen hoch? Wer? Sie zerrte jetzt an Onsin, aber er war so schwer wie ein Baumstamm. Endlich wälzte er sich herum, setzte sich auf und schüttelte den Kopf.
    »Krieg!« sagte sie und zog an seinem Bart, bis er ihre Hände wegschlug. »Die Ordnungshüter sind alarmiert — alle schreien, daß wir angegriffen werden!«
    »Was?« Er patschte und kniff sich ins Gesicht, als wäre es gar nicht seins, hievte sich dann von der Strohmatratze. Agnes war wach, gab kleine fragende Laute von sich, weinte. Finia wickelte die Kleine in ihre Decke und küßte sie, aber das beruhigte sie nicht. Und um Fergil mußte sie sich auch kümmern. Der Junge war halb wach, halb noch im Traum, zappelte und guckte herum, als wäre ihm sein eigenes Zuhause gänzlich fremd, und beim Anblick ihrer verwirrten Kinder schossen Finia Tränen in die Augen.
    Onsin hatte seine dicken Kniehosen angezogen und merkwürdigerweise seine besten Stiefel, aber mit einem Hemd hatte er sich nicht aufgehalten. In der einen Hand hatte er seinen Hammer, diesen Hammer, den sonst niemand im Viehweg auch nur heben konnte, und in der anderen eine Axt, die er für Tully Timmer richten sollte. Selbst in diesem wirren Moment dachte Finia, daß ihr Mann wie eine Gestalt aus einer alten Geschichte war, ein freundlicher Riese, ein bärtiger Halbgott wie Hiliometes. Er horchte auf das Geschrei, das jetzt schon vom Ende ihrer eigenen Straße kam. Und dann hörte Finia noch ein anderes Geräusch, ein anschwellendes Heulen wie von Wind, und sie wurde von einer so ohnmächtigen, entsetzlichen Angst gepackt wie noch nie in ihrem Leben.
    »Ich komme wieder«, sagte Onsin im Hinausstürzen. Er hatte weder seine Kinder geküßt noch Finias Segen abgewartet, was ihre Verzweiflung nur noch größer machte.
    Angreifer? Wer kann das sein? Mit Settland leben wir seit Großmutters Zeiten und noch länger in Frieden. Räuber? Warum sollten Räuber eine Stadt überfallen?
    »Mama, wo ist Papa hin?« fragte der kleine Fergil, und als sie in die Hocke ging, um ihn zu trösten, merkte sie, daß sie zitterte, weil sie nichts weiter trug als die Decke, die sie sich umgeschlungen hatte. »Papa ist rausgegangen, um anderen Männern zu helfen«, erklärte sie den Kindern und zog sich dann an.
     
    Sie konnte nicht glauben, daß es immer noch dieselbe Nacht war — daß sie eben noch, vor der Mitternachtsglocke, im Bett gelegen, über Onsins Schnarchen nachgedacht, besorgt auf Agnes' Atem gehorcht hatte. Es war, als ob Perin selbst seinen Hammer erhoben hätte, einen Hammer, so groß wie ein

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