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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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der andere Tempelbruder schließlich auftauchte, erklärte er, ja, er habe vor ein paar Stunden einen Jungen, auf den die Beschreibung passe, blond und klein, aber eindeutig kein Funderling, in einer der Festhallen getroffen, doch dieser Junge sei vom Tempel fortgegangen, nicht darauf zu. Während Chert noch diese Mitteilung verdaute, hörte er hinter sich laute Stimmen. Drei weitere Tempelbrüder, die offenbar gerade von irgendeiner Erledigung zurückkamen, drängten sich um die Stelle der Wand, wo er Giebelgaup zurückgelassen hatte.
    »Nickel!« rief einer dem ersten Tempelbruder zu. »Schau mal, da, ein echter, lebender
Gha'sun'nk!«
    Chert fluchte leise.
    Weitere Tempelbrüder strömten heraus, manche mit bloßem Oberkörper und schweißnaß, als kämen sie gerade von Schmiedeessen, Brenn- oder Backöfen. Binnen weniger Augenblicke scharten sich etwa ein Dutzend Brüder um den Dachling. Sie waren offenbar noch neugieriger, als Chert gedacht hatte. Chert zwängte sich durch das Gedränge und setzte den kleinen Mann auf seine Schulter. Giebelgaup wirkte leicht panisch.
    »Ist er wirklich ein
Gha'sun'nk?«
fragte ein Tempelbruder und benutzte dabei wieder das alte Funderlingswort für Dachlinge —
die kleinen, kleinen Leute.
    »Ja, er hilft mir, meinen Ziehsohn zu suchen.«
    Während die anderen Tempelbrüder miteinander flüsterten, kam Nickel herüber, ein seltsames Glänzen in den Augen. »Ach! Was für ein schlimmer Tag«, sagte er und legte sich in einer Geste der Unterwerfung unter die Erdalten beide Fäuste auf die Brust.
    »Wie meint Ihr das?« fragte Chert beunruhigt.
    »Wir hatten gehofft, Großvater Sulphurs Träume hätten von späteren Zeiten gesprochen«, erklärte der Tempelbruder. »Er ist der Älteste unter uns, unser Vorsteher, und die Alten sprechen zu ihm. Kürzlich hat er geträumt, daß die Stunde kommt, da die Alte Nacht ausgreifen und all ihre
di-G'zeh-nah'nk« —
ein altes Wort, das soviel wie »Hinterlassenschaften« hieß — »zurückfordern wird und daß die Tage der Freiheit für uns vorüber sind.«
    Die Tempelbrüder begannen, erregt zu diskutieren. Chert hatte Giebelgaup nur auf dem Wandvorsprung zurückgelassen, um keine Erklärungen abgeben und den Verstoß gegen die Traditionen nicht offen gestehen zu müssen, aber jetzt waren die Tempelbrüder aufrichtig bestürzt.
    »Werden sie mich töten?« piepste ihm Giebelgaup ins Ohr.
    »Nein, nein. Sie sind nur beunruhigt, weil die Zeiten so sonderbar sind — so wie Eure Königin und dieser Herr von Ganz Oben oder wie er hieß, der, der sie gewarnt hat, daß irgendein Sturm kommt.«
    »Der Herr des Höchsten Punkts«, sagte Giebelgaup. »Und selbger ist die schiere Wirklichkeit. So wirklich wie der Sturm, laßt's Euch gesagt sein — brausen wird er über unsre Dächer und ins Dunkel ihre Ziegel blasen.«
    Chert sagte nichts; er stand erstarrt inmitten des Tumults wie ein Wanderer, der ohne Licht in einem der gefährlichen Stollen am Rand der Funderlingsstadt gestrandet war. Gerade war ihm aufgegangen, wohin Flint wollen mußte, und das war allerdings ein erschreckender Gedanke.

    Das Schnarchen ihres Mannes, dachte Finia, war so laut wie das Prasseln seiner Schmiedefeuer.
    Den ganzen Tag das Gehämmer, und dann schlaflos im Dunkeln liegen, während er die ganze Nacht schnaubt und schnauft wie ein Bulle. Die Götter geben uns, was sie angemessen dünkt, aber womit habe ich dieses Schicksal verdient?
Wobei sie ja nicht nur Klagen hatte. Ihr Mann, den alle Onsin Eichenarm nannten, war nicht der schlechteste Ehemann, den eine Frau haben konnte. Er arbeitete schwer in seiner kleinen Schmiede und verbrachte nicht zu viel Zeit in der Schenke am Ende des Viehwegs. Er war keiner von den Tagedieben, die auf der Bank unter der Dachtraufe saßen und die Vorübergehenden anlallten. Wenn er auch nicht der Zärtlichste war, war er doch wenigstens ihrem Sohn und ihrer Tochter ein verantwortungsvoller Vater, der sie die Götter lieben und ihre Eltern ehren lehrte und dabei kaum je zu härteren Strafen griff als einer Kopfnuß oder einem Klaps mit seinen dicken Fingern.
Was nur gut ist,
dachte Finia.
Er ist so stark, daß er mit diesen Riesenpranken einen ausgewachsenen Mann umbringen könnte.
Als sie an seinen breiten Rücken dachte und an das schwarze Kringelhaar in seinem Nacken, an die Art, wie er einen Eisenstab, der ein Ochsenhufeisen werden sollte, in die Höhe hielt, um seinem kleinen Sohn zu zeigen, welche Farbe das Eisen haben mußte, ehe

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