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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Blick aus dem Weg scheuchen mußte. Er war so erleichtert, Prinzessin Brionys überwältigender Gegenwart zu entkommen, daß er es, nachdem er sich noch einmal zu ihr umgedreht und sich verbeugt hatte, nur mit Mühe schaffte, davonzugehen statt zu rennen.
    »Hauptmann Vansen?«
    Er zuckte zusammen, drehte sich dann um. »Ja, Hoheit?«
    »Ich billige es nicht, daß mein Bruder sich selbst zum Anführer dieses ... dieses Feldzugs ernannt hat. Das wißt Ihr wohl.«
    »Es schien mir klar, Hoheit.«
    »Aber er ist mein Bruder, und ich liebe ihn. Ich habe bereits ...« Seltsamerweise lächelte sie, aber es war deutlich erkennbar, daß sie mit den Tränen kämpfte. »Ich habe bereits einen Bruder verloren. Barrick ist der einzige, den ich noch habe.«
    Er schluckte. »Hoheit, der Tod Eures Bruders war ...«
    Sie hob die Hand; in einer anderen Situation hätte er sie vielleicht für herrisch gehalten. »Genug. Ich sage das nicht, um ... um Euch wieder Vorwürfe zu machen. Ich möchte nur ...« Sie wandte sich kurz ab, um sich mit dem langen Ärmel ihres Männerhemds die Augen zu tupfen, so als wären die Tränen kleine Feinde, die es schnell und erbarmungslos auszurotten galt. »Ich bitte Euch, Hauptmann Vansen, daran zu denken, daß Barrick Eddon nicht nur ein Prinz ist, nicht nur ein Mitglied des Herrscherhauses. Er ist mein Bruder, mein ... mein Zwillingsbruder. Ich habe schreckliche Angst, daß ihm etwas zustoßen könnte.«
    Ferras war bewegt. Selbst die beiden Wachen, zwei junge Kerle, die Vansen gut kannte und denen er beiden gemeinsam etwa die Sensibilität eines Ferkels zutraute, waren jetzt nervös, durch den offenen Kummer der Prinzessin aus der Fassung gebracht. »Ich werde mein Bestes tun, Hoheit«, erklärte er. »Bitte glaubt mir. Ich werde ... ich werde ihn behandeln, als wäre er mein eigener Bruder.«
    Kaum daß es draußen war, merkte er, daß er schon wieder etwas Törichtes getan hatte — daß man seine Worte so deuten konnte, als ob ihm normalerweise seine eigene Familie mehr bedeutete als sein Herr und Gebieter, der Prinzregent. Eine solche Äußerung schien um so gefährlicher, als ja schon ein Prinzregent sein Leben gelassen hatte, während er, Vansen, für seinen Schutz verantwortlich gewesen war.
    Ich bin wirklich ein Idiot,
dachte er.
Von meinen Gefühlen geblendet. Ich habe mit der Regentin des Königreichs gesprochen, als wäre sie die Pächterstochter vom nächsten Gehöft.
    Aber zu seinem Erstaunen standen wieder Tränen in Brionys Augen. »Danke, Hauptmann Vansen«, war alles, was sie sagte.

    Sie hatte sich den ganzen Morgen darauf gefreut, sich ein Weilchen zum Übungsfechten davonzustehlen, hatte sich so danach gesehnt, das schwere Holzschwert zu schwingen, dieses befreiende körperliche Gefühl zu erleben, aber jetzt, da es endlich soweit war, fühlte sie sich nur schwerfällig und müde.
    Es ist dieser Vansen,
dachte sie. Er brachte sie immer aus der Fassung, machte sie ärgerlich und konfus — schon sein bloßer Anblick erinnerte sie an Kendrick, an jenen schrecklichen Abend. Und jetzt würde er vielleicht dabeistehen und zusehen, wie ihr zweiter Bruder starb, denn all ihre Argumente vermochten Barrick nicht umzustimmen. Aber war es Vansens Schuld oder eine grausame Laune der Götter, daß er mit all den Dingen zu tun hatte, die ihr das Herz schwer machten?
    Es war alles so wirr. Sie ließ das Schwert in das Sägemehl des Fechtrings fallen. Einer der Wachsoldaten wollte herbeieilen, um es aufzuheben, aber sie wedelte ihn weg. Alles war so wirr. Ihr war ganz elend.
    Schwester Utta.
Briony hatte in den letzten Wochen kaum noch Zeit für ihren Unterricht gehabt, und plötzlich wurde ihr bewußt, wie sehr ihr die beruhigende Gegenwart der älteren Frau fehlte. Sie schnappte sich einen Lappen, um sich die Hände abzuwischen, stampfte mit den Füßen auf, um das Sägemehl abzuschütteln, und machte sich auf den Weg zu Uttas Gemächern, verfolgt von ihren Wachen wie eine futterstreuende Bäuerin von einer Hühnerschar. Als sie den Hof überquert hatte und gerade die langgestreckte Kleine Halle betreten wollte, prallte sie zum zweiten Mal in einer Stunde beinah mit einem jungen Mann zusammen. Diesmal war es nicht Vansen, sondern der junge Poet,
nun ja, sogenannte Poet —
Matty Kettelsmit. Er reagierte mit aufwendig zur Schau getragener freudiger Überraschung, aber angesichts der Sorgfalt, die er auf Frisur und Kleidung verwandt hatte, seines raschen Atems und seiner Position gleich hinter

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