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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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Vater weg ist. Der König hat auch noch zwei jüngere Kinder — einen Sohn und eine Tochter.«
    Plötzlich leuchtete etwas in den Augen des Jungen auf wie ein Licht hinter einem Vorhang. »Merolanna?«
    »Merolanna?« Chert starrte den Jungen an, als hätte der ihn geschlagen. »Du hast schon von der Herzogin gehört? Dann mußt du ja hier aus der Gegend sein. Woher kommst du, Kind? Kannst du dich jetzt wieder erinnern?«
    Aber der weißschopfige Junge sah ihn nur stumm an.
    »Ja, eine Merolanna gibt es, aber das ist die Tante des Königs. Kendricks jüngere Geschwister heißen Barrick und Briony. Ach ja, und die Gemahlin des Königs trägt noch ein weiteres Kind unterm Herzen.« Reflexartig machte Chert das Zeichen des Muttergesteins, eine Funderlingsgeste, die Schwangeren Glück bringen sollte.
    Das seltsame Leuchten in den Augen des Jungen verschwand.
    »Er hat schon von der Herzogin Merolanna gehört«, erklärte Chert Opalia. »Also muß er hier aus der Gegend sein.«
    Sie verdrehte die Augen. »Ihm wird sicher noch viel mehr wieder einfallen, wenn er erst mal eine Mahlzeit und ein bißchen Schlaf gekriegt hat. Oder hast du vor, die ganze Nacht hier herumzustehen und ihm Sachen zu erzählen, von denen du selbst keine Ahnung hast?«
    Chert schnaubte entrüstet, winkte den Jungen aber weiter.
     
    Es strömten mehr Leute aus der Burg heraus als hinein, hauptsächlich Bewohner von Südmarkstadt, die zur Arbeit auf den Midlanfels gekommen waren und jetzt wieder nach Hause wollten. Chert und Opalia mußten mühsam gegen den Strom der Großwüchsigen ankämpfen. Opalia führte sie durch hallende, überdachte Gänge in die ruhigeren, etwas düsteren Gassen an der südlichen Wasserzufahrt, der sogenannten Skimmerlagune, und der dortigen Bootslände, einer von zwei großen Anlegestellen innerhalb des äußeren Befestigungsrings. Die Skimmer hatten die Holzpfeiler der Anlegestege zu bizarren Figuren geschnitzt, Menschen und Tieren, fast bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Die bunten Farben wurden durch die einsetzende Dämmerung gedämpft, aber Chert dachte, daß die geschnitzten Pfeiler trotzdem so eigentümlich wie immer wirkten, wie gefangene fremde Götter, die übers Wasser starrten und einen Blick auf die verlorene Heimat zu erhaschen suchten. Die reglosen Gestalten schienen sogar laut zu klagen: Da an mehreren kleinen Stegen Boote voller halbnackter Skimmer-Fischer den Fang des Tages entluden, war die Luft über der Lagune von ihren schmerzerfüllt (und für Cherts Ohren fast völlig melodiefrei) klingenden Gesängen erfüllt. »Frieren diese Leute nicht?« fragte der Junge. Jetzt, da die Sonne hinter den Hügeln versunken war, begann ein kalter Wind über die Wasserzufahrt zu wehen und kleine, gischtgekrönte Wellen gegen die Pfeiler zu treiben. »Das sind Skimmer«, erklärte ihm Chert. »Die frieren nicht.«
    »Warum nicht?«
    Chert zuckte die Achseln. »Aus dem gleichen Grund, aus dem Funderlinge schneller etwas vom Boden aufheben können als ihr Großwüchsigen. Wir sind klein. Skimmer haben dicke Haut. Die Götter haben es einfach so gewollt.«
    »Sie sehen seltsam aus.«
    »Oh, sie sind wohl auch seltsam. Sie bleiben für sich. Manche gehen angeblich nie weiter an Land als bis zum Ende eines Entladestegs. Sie haben auch Schwimmfüße wie Enten — na ja, jedenfalls ein bißchen Haut zwischen den Zehen. Aber es soll hier noch viel seltsamere Leute geben, auch wenn man es nicht auf den ersten Blick sieht.« Er lächelte. »Gibt es da, wo du herkommst, so was nicht?«
    Der Junge sah ihn nur an. Er wirkte weit weg und bedrückt.
    Sie waren bald wieder aus den Gassen an der Skimmer-Lagune heraus und in den ebenso eng bebauten Vierteln jener Großwüchsigen, die am oder auf dem Wasser arbeiteten. Es wurde jetzt rasch dunkel, und obwohl es Fackeln an den Kreuzungen gab und sogar ein paar wichtige Leute, die sich von Laternenträgern führen ließen, waren die matschigen Gassen doch fast nur von dem Kerzen- und Feuerschein erhellt, der durch noch nicht verschlossene Fenster fiel. Die Großwüchsigen bauten ihre wackligen Wohnungen gern übereinander, mit einem Gewirr von Stiegen und Stegen, so daß sie die engen Gassen beinah erstickten. Der Gestank war schauderhaft.
    Trotzdem, dieser Ort hat gute Knochen,
dachte Chert,
starken, gesunden Stein, das lebende Innere des Midlanfels. Was wäre es doch für ein Vergnügen, dieses ganze häßliche Holz einfach abzukratzen. Wir Funderlinge hätten das alles hier im Nu so,

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