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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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er ein langes Bein so kunstvoll hinter das andere setzte, als hätte ihn das noch viel mehr Übung gekostet als der Taubentrick. Barrick dachte, daß der alte Mann aussah wie ein Grashüpfer im Narrenkleid. Die versammelten Höflinge lachten und flüsterten hinter vorgehaltener Hand.
    Wir alle hier sind Narren.
Die düstere Stimmung, die Puzzles stümperhafte Bemühungen ein wenig zurückgedrängt hatten, brach wieder über ihn herein.
Nur sind die meisten von uns besser als er.
Selbst an guten Tagen fiel es ihm schwer, auf den harten Stühlen zu sitzen. Trotz der offenen Fenster oben in den Mauern war der Thronsaal stickig von Weihrauch, Staub und Menschen — zu vielen Menschen. Er sah zu seinem Bruder hinüber. Der sprach gerade mit Steffans Nynor, dem Vogt, und machte einen Witz, den Gronefeld und die anderen Edelleute mit Gelächter quittierten, während der alte Nynor rot wurde und stammelte.
Schaut euch Kendrick an, wie er so tut, als ob er unser Vater wäre. Aber auch Vater hat nur so getan als ob — er hat das alles gehaßt.
Tatsächlich hatte König Olin weder den scheinheiligen Gailon von Gronefeld leiden können, noch dessen lauten, wohlgenährten Vater, den alten Herzog.
    Vielleicht wollte Vater ja gefangengenommen werden, nur um dem allem zu entkommen.
    Der bizarre Gedanke kam nicht dazu, sich richtig zu entfalten, da Briony ihren Zwillingsbruder in die Rippen puffte.
    »Laß das!« fauchte er. Seine Schwester wollte ihn immer zum Lachen bringen, ihn zwingen, sich zu amüsieren. Warum sah sie denn nicht die Probleme, in denen sie steckten — nicht nur die Familie, sondern ganz Südmark? Konnte es wirklich sein, daß er als einziger im ganzen Königreich erkannte, wie schlimm es stand?
    »Kendrick will uns sprechen«, sagte sie.
    Barrick ließ sich von ihr zum Prunkstuhl seines älteren Bruders ziehen — nicht dem eigentlichen Wolfsthron der Eddon-Könige, der bei Olins Abreise mit einem samtenen Tuch bedeckt und seither nicht mehr benutzt worden war, sondern dem zweitbesten Stuhl, der zuvor am Kopfende der großen Tafel gestanden hatte. Die Zwillinge zwängten sich sachte an einigen Höflingen vorbei, die darauf lauerten, einen Moment mit dem Prinzregenten zu ergattern. Barricks Arm pochte. Er wünschte, er wäre wieder draußen im Freien, für sich, weit weg von diesen Leuten. Er haßte sie alle, verabscheute jeden hier in der Burg ... außer, wie er zugeben mußte, seine Geschwister und vielleicht noch Chaven ...
    »Vogt Nynor sagt, der Gesandte aus Hierosol wird erst gegen Mittag kommen«, verkündete Kendrick, als sie bei ihm angelangt waren.
    »Er sagt, ihm ist unwohl von der Seereise.« Der uralte Vogt sah so besorgt aus wie immer; seine Schnurrbartenden waren abgekaut — eine ekelhafte Angewohnheit in Barricks Augen. »Aber einer der Bediensteten hat mir berichtet, er habe den Gesandten heute morgen mit Shaso reden sehen. Im Streit, wenn man dem faulen Burschen glauben kann, was nicht unbedingt gesagt ist.«
    »Das klingt verdächtig, Hoheit«, bemerkte der Herzog von Gronefeld.
    Kendrick seufzte. »Die beiden stammen ja, zumindest der äußeren Erscheinung nach, aus denselben südlichen Gefilden. Shaso trifft nicht viele Landsleute hier im kalten Norden. Das wäre doch wohl Anlaß genug zum Reden.«
    »Auch zum Streiten, Hoheit?« fragte Gronefeld.
    »Der Gesandte steht in Diensten des Mannes, der unseren Vater gefangenhält«, erklärte Kendrick. »Das liefert Shaso doch wohl allen Grund, mit ihm zu streiten, oder?« Er wandte sich an die Zwillinge. »Ich weiß, wie ungern ihr beide hier herumsteht. Also geht ruhig, ich werde nach euch schicken, wenn uns dieser Bursche aus Hierosol endlich die Ehre gibt.« Er sagte es leichthin, aber Barrick merkte, daß es ihm gar nicht behagte, auf den Gesandten warten zu müssen. Sein älterer Bruder, dachte Barrick, entwickelte allmählich eine wahrhaft monarchische Ungeduld.
    »Ah, beinah hätte ich's vergessen, Hoheit.« Nynor schnippte mit den Fingern, und einer seiner Bediensteten eilte mit einer Ledertasche herbei. »Er gab mir die Briefe, die er von Eurem Vater und dem sogenannten Lordprotektor zu überbringen hat.«
    »Der Brief von Vater?« Briony klatschte in die Hände. »Lies ihn uns vor!«
    Kendrick hatte das Siegel — Wolf und Sternenhalbkreis der Eddons in dunkelrotem Wachs — bereits erbrochen und studierte die Zeilen. Er schüttelte den Kopf. »Später, Briony.«
    »Aber, Kendrick ...!« In ihrer Stimme lag echte Pein.
    »Genug.« Ihr

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