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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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einfach und schön war, schien unerreichbar. Und da sie wachlag und sich mit solch fiebrigen, quälenden Gedanken herumschlug, hörte Qinnitan die leise Bewegung am anderen Ende ihres Zimmers so deutlich, als hätte jemand etwas gesagt.
    Ihr Herz stockte, begann dann zu rasen. Sie setzte sich langsam auf, spähte mit zusammengekniffenen Augen ins Beinahe-Dunkel neben der Tür. Alles, was sie im Schummerlicht der abgeschirmten Lampe sehen konnte, war ein Schatten, aber dieser Schatten war nicht dort gewesen, als sie ins Bett gekrochen war.
    Tanyssa. Die Erste Ehefrau hat sie geschickt.
Sie sah das breite Gesicht der Begünstigten-Gärtnerin vor sich, die Augen leer bis auf die stumpfe Feindseligkeit eines geprügelten Hundes.
Selbst wenn ich schreie, wird sie mich töten, bevor Hilfe da ist.
Und wenn die Gärtnerin in Arimones Auftrag unterwegs war, soviel war Qinnitan klar, dann konnte sie sich die Kehle aus dem Leib schreien, ohne daß ihr irgend jemand zu Hilfe kommen würde.
    Sie schwang, so leise sie konnte, die Beine aus dem Bett und gab leise Stöhnlaute von sich wie jemand, der unruhig schläft. Sie hoffte, so die Geräusche ihrer Bewegungen überdecken zu können. Und vielleicht würde die Meuchlerin ja erst einmal stehenbleiben, um ihr Opfer nicht ganz aufzuwecken. Mit hämmerndem Herzen überlegte sie fieberhaft, was sie als Waffe benutzen könnte. Die Schere, mit der ihr die Sklavinnen das Haar schnitten! Aber die lag ganz unten in dem Korb neben ihrem Bett, in dem Elfenbeinnähkästchen — da würde sie niemals rechtzeitig drankommen.
    Als sie mit der Hand über das Tischchen fuhr, stießen ihre Finger auf etwas Kaltes, Hartes und ergriffen es. Es war eine Kleidernadel, die ihr Luian geschenkt hatte, eine Spanne lang, mit einer Nachtigall aus Gold und Emaille am oberen Ende. Sie schloß die Faust um die Nachtigall und hielt die Nadel wie einen Dolch. Tanyssa würde sie nicht ermorden, ohne dafür zu bluten, beschloß Qinnitan. Ihr Mund war trocken, ihre Kehle so eng, als zöge die Drosselschnur sie bereits zusammen.
    Der Schemen an der Tür bewegte sich wieder, langsam, lautlos, tastete sich mit den Händen vorwärts. Jetzt, da sich die Gestalt vor dem schwachen Lampenlicht abzeichnete, schien sie kaum noch menschlich, viel zu schmalgliedrig für Tanyssa oder einen der anderen Meuchler, die Arimone oder der Autarch ausgeschickt haben könnte. Qinnitans Herz stockte, drohte ganz stehenzubleiben. War das ein Geist? Ein Schattendämon aus Argais Nachtreich?
    Das Etwas war jetzt fast bei ihr. Sie sah ein unheimliches, schattendunkles Gesicht, und die Angst verwandelte ihren Arm in Stein, als sie die Nadel in die schwarzen Augenflecken hätte rammen sollen. Statt dessen spürte sie, wie das Etwas gegen sie stieß und zurückschrak. Der Kontakt mit kühlem, menschlichem Fleisch war ein solcher Schock, daß die Sehnen und Muskeln ihres Arms jäh wieder zum Leben erwachten und die Nadel auf das Etwas niedersauste. Das Etwas taumelte rückwärts, mit einem seltsam tonlosen Wimmern, aber ohne ein Wort, ohne einen Schmerzens- oder Schreckensschrei, und Qinnitans Herz stockte wieder.
    »Laß mich!« wollte sie rufen, doch heraus kam nur ein heiseres Flüstern. Das Etwas kroch davon, noch immer mit diesen seltsamen, tierischen Lauten, verharrte dann, am Boden zusammengeduckt. Qinnitan stürzte an ihm vorbei zur Tür, um nach den bulligen Begünstigten-Wächtern zu rufen, die nur ein paar Dutzend Schritt weiter postiert waren. Doch kurz vor der Tür blieb sie stehen. Das Etwas weinte, ging ihr auf, ein bizarres, rauhes Geräusch.
    Sie streckte den Arm aus und verbrannte sich die Finger beim Versuch, die Lampe hinter dem geschlitzten Schirm hervorzuziehen, doch als sie sie dann am Henkel hochhob und die Flamme den Raum in gelbes Licht tauchte, erkannte sie, daß das furchterregende Etwas, das auf ihrem Fußboden kauerte, nur ein dunkelhaariger kleiner Junge war.
    »Heilige Bienenkönigin!« hauchte sie. Sie ging ein Stück auf den Jungen zu. Er sah sie mit schreckgeweiteten Augen an. Ein langer, blutiger Kratzer auf seiner Brust zeigte, wo ihn die Nachtigallennadel getroffen hatte. »Wer bist du?« flüsterte sie.
    Der Junge starrte sie an, Tränen in den Augen und auf den Wangen. Er öffnete den Mund, aber heraus kam nur ein Grunzen. Sie zuckte zusammen, und er riß schützend die Arme vors Gesicht.
    Einer von den Stillen Begünstigten!
Er war ein stummer Sklave, erbeutet in einem der xixischen Kriege, vielleicht

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