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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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um sie entziffern zu können.
    Geliebte,
    begann der Brief. Sie starrte auf Jeddins präzise und überraschend zierliche Handschrift.
Wenigstens hat er meinen Namen weggelassen,
dachte sie, aber im nächsten Moment traf sie die Bedeutung dieses einen Wortes wie ein Schlag. Wie war es soweit gekommen? Es war alles wie aus einem alten Märchen; daß dieser mächtige Mann ihrer beider Leben aufs Spiel setzte, um ihr seine Liebe zu beweisen, und daß ein noch mächtigerer Mann — der mächtigste Mann der Welt — sie bereits für sich beanspruchte.
    Mich? Mich, Qinnitan?
Es war nicht zu fassen.
    Es war töricht von mir, das Risiko einzugehen, dich zu treffen. Du hattest recht. Es gibt Gerede. Jemand von meinen Feinden hat Verdacht geschöpft. Es muß Vash, der Oberste Minister, sein, aber er kann nichts beweisen.
    Vor Schreck blieb ihr die Luft weg. Sie wollte nicht weiterlesen. Tat es aber doch.
    Dennoch kann der Tag kommen, da er etwas gegen mich unternimmt, trotz der Gunst des Autarchen, gepriesen sei sein Name, in der ich stehe. Nein,
weil
ich in der Gunst des Goldenen stehe. Er haßt mich. Vash, meine ich. Wie auch andere hier.
    Ich muß mich darauf vorbereiten, daß eines Tages alles anders werden kann. Ich habe meine eigenen Leute, die mir treu ergeben sind, aber ohne dich würde mir meine Sicherheit nichts bedeuten. Wenn je ein solcher Tag kommt, werde ich einen Boten zu dir schicken, der sich dir zu erkennen geben wird, indem er den heiligen Namen des Habbili ausspricht. Und so wie der Sohn des großen Gottes den Bergen und seinen Feinden entkam und verwundet mit dem Boot nach Xis gelangte, werden auch wir in die Freiheit segeln. Im Hafen, auf einem Liegeplatz nahe dem Habbili-Tempel, liegt ein schnelles, kleines Schiff, die
Morgenstern von Kirous.
Ich habe es nicht nach dir benannt, mein wunderschöner Stern, ich besitze es schon, seit ich zum Hauptmann der Leoparden des Autarchen ernannt wurde, doch als ich erfuhr, daß manche im Frauenpalast dich so nennen, war mir das nur der Beweis dafür, daß das Schicksal uns dies alles von Anfang an bestimmt hat. Wenn du dorthin gehst, zeige dem Kapitän diesen Ring. Er wird ihn erkennen und dir mit aller Höflichkeit begegnen, und wenn ich zu dir stoße, wirst du sehen, wie prächtig die
Morgenstern
segelt.
    Ich hoffe, daß es nicht dazu kommt, Geliebte. Es ist ja immer noch möglich, daß es mir gelingt, Pinnimon Vash und meine übrigen Feinde auszuschalten und vielleicht sogar einen Weg zu finden, wie unsere Liebe unter der Sonne des Goldenen blühen kann. Doch wie das Sprichwort sagt: In einem Natternnest gibt es keine Ruhe, nicht einmal für Nattern.
    Seine Unterschrift endete in einem Schnörkel.
    Du Narr,
dachte sie.
Oh, Jeddin, du Narr!
Wenn der Junge die Wachen oder gar ihre Dienerinnen geweckt hätte, wenn das hier irgend jemandem in die Hände gefallen wäre, dann würden sie und Jeddin und wahrscheinlich auch Luian jetzt, in diesem Moment, vor dem Scharfrichter knien. Der Leopardenhauptmann litt an einer besonders gefährlichen Art von Verrücktheit, dachte Qinnitan, einem Zustand, in dem er den Autarchen preisen konnte, während er gleichzeitig Pläne schmiedete, dem Herrscher der Welt die auserwählte Braut zu rauben.
    Sie liebte Jeddin nicht, das war ihr klar, aber irgend etwas an dieser Verrücktheit rührte sie. In diesem starken Körper schlug das Herz eines Kindes — eines traurigen Kindes, das hinter den anderen Kindern herrannte, aber immer zu langsam war. Und als Mann war er auf eine Art attraktiv, die sie nicht kalt ließ, auch das war ihr klar. Qinnitan hielt den Atem an. War doch etwas dran? Wagte sie es, etwas für ihn zu empfinden? Konnte er sie irgendwie aus diesem schrecklichen Frauenpalast befreien?
    Sie dachte nur ganz kurz darüber nach, hielt dann das Blatt in die Lampenflamme, bis es nur noch feine schwarze Asche war. Den Ring jedoch bewahrte sie auf.

32

In dieser Welt
    Tränen:
Lache und sei fröhlich,
Sagt der Wolf.

Heule den Himmel an.

Das Knochenorakel
    Kalter Regen drosch herab, und die Spenglergasse war ein einziger Schlammfluß. Matty Kettelsmit stakste vorsichtig von Bohle zu Bohle — von manchen ragte nur noch ein Ende aus dem Morast wie das Heck eines sinkenden Schiffs —, in dem festen Vorsatz, seine Schuhe sauberzuhalten. Sein neuerrungenes Kleidergeld reichte nicht für Holzpantinen, oder zumindest war die Entscheidung zwischen Holzpantinen und der größten und auffälligsten Halskrause für ihn keine gewesen. Er

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